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von Fall zu Fall Fragen

Schreiben ist eine einsame Sache

Leopold Federmair im Gespräch mit Petra Nagenkögel.

Petra Nagenkögel: Vielleicht können wir so beginnen: Dein Buch „Schönheit und Schmerz“ fängt an mit der „Geschichte vom Ende“: Ein apokalyptischer Regen, ein dadurch bedingter Unfall des Erzählers. Auf wenigen Seiten lesen wir davon, wie ein einzelner Moment entscheidet über Leben und Tod. Was bedeutet es, eine „Geschichte vom Ende“ an den Anfang eines Buchs zu stellen? Geht es dabei um ein Aushebeln der Logik, in der wir gewohnt sind, die Welt zu denken?

Leopod Federmair: Das Ende des Lebens ist der Anfang des Buchs. Autoren, die mir sehr nahe sind, wie Montaigne und Proust, haben ihr Leben als beendet betrachtet und danach zu schreiben begonnen. Ich glaube mich zu erinnern, daß ich in der erwähnten Geschichte auch formuliert habe, daß es in jedem Leben kleinere Tode gibt, Einschnitte im Leben, Abschiede, Scheidungen, der Tod von geliebten Menschen. Auch der Schlaf ist ja als Bruder des Todes bezeichnet worden, in gewisser Weise sterben wir jeden Tag und werden auch jeden Tag geboren. Diese Einschnitte ermöglichen es erst, ein Leben oder einen Lebensabschnitt zu überblicken, ihm gerecht zu werden. Schönheit und Schmerz will beides sein, Feier des Lebens und Rechenschaft von der Zerstörung, vom Verfall.

Das genannte Bild des Regens und der Katastrophe wird wieder aufgenommen in deinem neuesten Roman „Die lange Nacht der Illusion“, dort wird der Regen zu einer Flutwelle, die alles mit sich reißt. Darüber hinaus finden sich viele weitere Korrespondenzen zwischen deinen Büchern, vorrangig zwischen den drei zuletzt erschienenen. Sie sind formal und sprachlich disparat, dennoch gibt es einiges an Verbindung.

Ich habe irgendwann begonnen, die drei Werke als Trilogie zu sehen. Es gibt zwischen ihnen eine Reihe von Verbindungslinien, natürlich auch Unterschiede. Das eine ist ein Großstadtbuch, das andere ein Landbuch, sie ergänzen einander in gewisser Weise. Beide arbeiten mit Fragmentarik, mit Momentaufnahmen. Beide schälen aus dem unmittelbaren Zugang zur Wirklichkeit, aus den Versuchen, flüchtige Eindrücke festzuhalten, fiktive Elemente heraus, in Schönheit und Schmerz sogar eine mythische Ebene. Beide haben ohne irgendeine Planung als Work-in-progress begonnen. Die lange Nacht ist dagegen von vornherein als Roman konzipiert, eigentlich als ein kleines, variables System von Erzählungen, aber auch hier war dieses unmittelbare Anknüpfen an Erfahrungen wichtig. Tokyo Fragmente und der Roman haben beide Anteil an dem, was ich gern als meine ethnologische Ader bezeichne – deshalb häufig Reflexionen darüber, was das Japanische eigentlich ausmacht, deshalb das Vergleichen, die Distanz zur Umgebung, das Befremden, aber auch die Neugier.

Dein Roman „Die lange Nacht der Illusion“ ist vieles: es ist die Geschichte einer Beziehung (oder vielmehr einer Entfremdung), es ist eine Vater-Tochter-Geschichte, es ist ein Buch über die japanische (und globale) Gegenwart, es ist ein Dialog mit Literatur und eine Reflexion über das Übersetzen. Wenn all das Platz in einem Roman haben soll, braucht es eine sehr offene Form.

Erzählen bedeutet immer, die Fülle des Gelebten zu reduzieren. Andererseits führt eine Literatur, wie ich sie im Sinn habe, Komplexität dann auch wieder ein. Ein Roman ist immer eine Vielzahl von Erzählungen, nicht nur hintereinander, sondern auch gleichzeitig. Wenn man über längere Zeit an einem Text arbeitet, ergeben sich Motive, motivische Verbindungen, Stränge, auch Symbole, an die man anfangs nicht gedacht hat. Dem muß man sich öffnen, man muß die Fäden und Stränge ergreifen, manchmal noch etwas fester knüpfen, aber ein wesentlicher Teil der Arbeit besteht darin, sie zu erkennen, sich ihnen zu öffnen. Da erfährt man dann Dinge, die man nicht gewußt, nicht einmal gesucht hat. Und so können komplexe Strukturen entstehen. Wenn man tief drinsteckt, wird dann alles bedeutungsvoll, jedes kleinste Element.

Zu dem von dir erwähnten „noch nicht Gewussten“, das erst im Schreiben erkennbar wird, gibt es vielleicht auch die Suche nach etwas, das erkundet werden will? „Wer erzählt, hat eine Frage“ lautet ein lapidarer, aber sehr kluger Satz von Judith Kuckart. Welche Fragen hattest du an deinen Roman?

Diesem Satz kann ich eigentlich nichts hinzufügen. Der Frage oder den Fragen geht man nach, aber es ist auch nicht so, daß man immer Antworten findet, ja, nicht einmal unbedingt finden muß. Die Frage ist eher ein Katalysator. Ich glaube, die zwei Fragen, die im Roman aufeinanderprallen, sind die nach dem Verfall und dem menschlichen Umgang damit, und zweitens, wie einschränkend und destruktiv Gesellschaft (Inbegriff von „Ordnung“) sein muß und welche Wege es gibt, sich dem zu entziehen. Wobei zwischen beiden Fragen Verbindungslinien verlaufen und auch die umgekehrte Sichtweise immer wieder da ist: Leben ist ja auch Aufblühen, und Ordnung ist schön.


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