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von Fall zu Fall Fragen

Schreiben ist eine einsame Sache

Leopold Federmair im Gespräch mit Petra Nagenkögel.

Eine nach der Flutwelle versehrte Gegend, inmitten der Verwüstung ein Getränkeautomat, von einem Felsbrocken getroffen, aber immer noch sein blechernes Liedchen schmetternd. Das ist ein starkes Bild von visionärer Kraft. Was nach der Zerstörung von uns bleibt, sind technische Relikte.

Dieses Bild gehört zu den von mir so und nicht anders erfahrenen, es sind diese Wirklichkeitsmomente, die ich aufgreifen wollte. Egal wie man’s anstellt, allein dadurch, daß man es schreibt, transformiert sich das Bild. Aber die Anknüpfung, das Aufgreifen ist auch wahr und spielt eine Rolle.

Lass uns zu Theo kommen, dem Erzähler des Romans. Wir kennen ihn schon aus deinem Roman „Erinnerung an das, was wir nicht waren“, dort ist er ein in Japan lebender österreichischer Autor, nun, im neusten Buch, ist er Übersetzer, der sich an einer Neuübertragung des Romans „Kinkakuji“ von Yukio Mishima versucht. Was lässt sich über die Figur eines Übersetzers im Roman vermitteln?

Bisher habe ich eigene Romane immer in Ich-Form gedacht, ich konnte sie nicht anders denken. Beim Roman drängte sich mir die Weltsicht auf, die vermutlich für jeden die alltägliche und selbstverständliche ist: Ich schaue aus mir hinaus in die Welt und nehme dies und jenes davon in mich auf. Ich erzähle im Roman von anderen, aber nicht an ihrer Stelle. Daß diese Ich-Figuren dem Autor nahestehen, ist nicht verwunderlich.

Theo hängt seiner Obsession nach, dieser quasi unmöglichen Aufgabe, ohne sehr gute Sprachkenntnisse die Kinkakuji-Übersetzung zu meistern. Diese Idee hatte ich vor etwa zehn Jahren für mich selbst, bin aber davon abgekommen, anders als Theo. Es ist vielleicht der Halm, an dem er sich festhält, denn seine Existenz ist alles andere als sicher. Die Obsession ist eine Illusion. Ohne Illusionen können wir wahrscheinlich nicht leben. Und seine Tochter… Na ja, ich will nicht ins Detail gehen. Das Schreiben über Kinder, die Einfühlung in ihre Existenzform, ihre Entwicklung, vom Säugling bis zum Teenager, war für mich die große Entdeckung, seit ich selbst Vater geworden bin.

Theos Tochter zwingt ihn zur Auseinandersetzung: mit seiner Geschichte, seinem Älterwerden. Nicht zuletzt auch damit, dass das Erlernen des Japanischen für ihn mit dem Gefühl des Scheiterns einhergeht. Dabei ist Theo gewöhnt, sich in mehreren Sprachen zu bewegen. Das hast du mit Theo gemeinsam, du hast selbst aus dem Italienischen, Französischen und Spanischen übersetzt. Was bedeutet es für dich als Autor, der auf Deutsch scheibt, in Japan zu leben, in dieser völlig anderen Sprach(und Schrift-)umgebung?

Ich selbst lebe mit und in mehreren Sprachen, diese vermischen sich, obwohl das Deutsche für mich natürlich die Basis und auch das Ziel, die Bestimmung bleibt. Es gab in meinem Leben Momente, da hätte ich die Sprache, auch die Schreibsprache, wechseln können, aber es ist letzten Endes nie geschehen. Ich glaube, das gilt für viele Menschen, Mehrsprachigkeit ist heute normal. Ich hatte immer die Idee, in mehreren Sprachen gleichzeitig zu schreiben.

„Es kam darauf an, die eigene Sprache wiederzugewinnen. Nein, nicht wieder, sondern überhaupt erst zu gewinnen, dann konnte er zu schreiben beginnen. Wenn ihm die eigene Sprache fremder geworden wäre als jede fremde.“

Das ist eine „Theorie“, die ich von Proust aufgenommen habe, vielleicht hat sie aber schon vorher existiert: Schreiben, sich wirklich der Schrift hingeben, bedeutet, eine Fremdsprache zu schaffen. Es betrifft nicht nur die Sprache: Wenn ich mir fremd geworden bin, beginne ich zu schreiben. Und auch: Ich schreibe über das, was ich nicht kenne, ich erschreibe es mir. Wir kommen hier wieder zurück zu dem Satz von Judith Kuckart.

Sprechen und Sprachlosigkeit werden immer wieder reflektiert in deinen Büchern. Wie verhalten sich für dich Wirklichkeit, Wahrnehmung und Sprache zueinander? Und wie ist dem Abstand zu begegnen, der zwischen Welt und Ich und Sprache ist?

Hätte ich ein analytisches Verhältnis zu meinen eigenen Texten, ich käme vielleicht zu diesem Gegensatzpaar: Starre und Lebendigkeit. Es taucht immer wieder auf. Natürlich ist es letzten Endes der Gegensatz von Tod und Leben, wobei mich aber die Differenzierungen interessieren: Wie greift der Tod ins Leben vor? Welche Schnippchen können die (noch) Lebendigen dem Tod schlagen? Sprechen ist Lebendigkeit, es ist Atmen, japanisch „iki wo suru“, das Zeichen für „iki“ bedeutet sowohl Atem als auch Leben. Diese Spannungen, in der Erzählung dann ein Hin und Her, ein Auftauchen mal dieser, mal jener Gestalt, machen das Werk aus oder bringen es hervor.

Dem Abstand, glaube ich, kann man nicht begegnen, der bleibt. Man tut das Unwahrscheinliche, das Unmögliche, es wird wider alle Vernunft immer wieder möglich. Wahrnehmung findet ja statt, wir erfahren ständig etwas und haben selten Grund, daran zu zweifeln. Die Subjektivität der Wahrnehmung ist uns, jedenfalls mir, aber kein Problem, sondern eher Lustquelle, eine Freude, Quelle der Vielfalt. Das Problem beginnt bei der Kommunikation. Daß der andere, zu dem ich spreche, niemals genau das sehen kann, was ich ihm vermitteln will. Trotzdem funktioniert das immer wieder. Weil es einen gemeinsamen Nenner gibt, eine Schnittfläche. Radikales Schreiben riskiert dabei allerdings, daß die Berührung gering bleibt oder verloren geht. Schreiben ist eine einsame Sache.


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