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Jemand muss die Traurigkeit aushalten

Laura Freudenthaler, die schon mit ihrem bisherigen Schreiben so konsequent wie kompromisslos das Verhältnis von Wirklichkeit und Sprache, von Wahrnehmung und Imagination ausgelotet hat, geht auch mit ihrem neuen Buch an die Grenzen des Sagbaren.

Petra Nagenkögel hat Laura Freudenthalers Buch Arson gelesen.

Traurige Feuer sind solche, die mit Gewalt gestiftet werden. Sie brennen wider Willen, wo es sie nicht geben sollte, wie Kinder an ihnen verübte Grausamkeiten weitergeben müssen. Jemand muss auch an ihnen Anteil nehmen. Jemand muss die Traurigkeit aushalten. Die traurigsten Feuer sind die Urwaldbrände.

Laura Freudenthaler, Arson, Jung und Jung Verlag 2023.

Laura Freudenthaler, die schon mit ihrem bisherigen Schreiben so konsequent wie kompromisslos das Verhältnis von Wirklichkeit und Sprache, von Wahrnehmung und Imagination ausgelotet hat, geht auch mit ihrem neuen Buch an die Grenzen des Sagbaren. Es ist ein zwingendes Buch, dessen Dringlichkeit von seinem Inhalt wie von seiner Ästhetik beglaubigt wird, ein Text, der eine Sprache findet für die Unmittelbarkeit einer Gegenwart, die wir als unsere begreifen müssen. Arson, der Titel des Buchs, bedeutet im Englischen Brandstiftung. Das Feuer ist das Element, das den Text durchzieht, die Erde fiebert, die Welt brennt.

Die Erzählerin, das Ich des Textes, sieht hin, sie nimmt wahr, sie nimmt auf und sie nimmt Anteil, mit wachsender Verzweiflung, zunehmend rastlos, zunehmend entfremdet von ihren bisherigen Lebenszusammenhängen. Nur noch wenige Verbindungen hält sie aufrecht, zu Andrea, zu Ulrich, zur Schwester und deren Kind, das eine Atemwegserkrankung hat, symptomatische Folge dessen, was wir Zivilisation nennen. Sie zieht von hier nach da, von der aufgeheizten, lärmenden Stadt aufs Land und wieder zurück, sie wechselt die Wohnungen, die Orte. „Wie hältst du das aus, fragt Andrea bisweilen. Ich halte es nirgends aus.“

Überwach und zugleich traumwandlerisch, in einer auf alle Schichten des Wirklichen hin durchlässigen, einer seismo-grafischen Wahrnehmung hält die Erzählerin fest, was ist und vor allem, was nicht mehr ist, wie es war: „Alles ist so, wie wir es früher nicht kannten.“

Es sind Stenogramme eines inneren Ausnahmezustands, in dem sich die globale Katastrophe vermittelt, eines Ausnahmezustands, der dauert.  Oder, mit Walter Benjamin gesprochen: „Dass es ‚so weitergeht‘, ist die Katastrophe“.

Diese Gegenwärtigkeit ist dem Text auch formal eingeschrieben, auf jeder Seite neu,

im einzelnen, minutiös aufgefächerten Moment und in höchster sprachlicher Reduktion: Wo vom Äußersten erzählt wird, kann es keine epische Breite geben, da sind wenige Worte das Maß. Den oft kaum eine halbe Seite langen Passagen folgt der Weißraum des Papiers, leerer Raum, Atemfläche in einem Text, der von der Atemlosigkeit erzählt, von dem, was uns die Luft nimmt und den Schlaf. „Ich glaube, wir fiebern alle“, heißt es an einer Stelle. Und an einer anderen: „Ich muss zu überleben beginnen.“

Zum Überleben gehört, die Verbindung zu den Träumen zu halten, ihre luziden Bilder zu bewahren, die andere Formen des Erkennens ermöglichen, der rationalen Logik unseres Denkens entzogen. Täglich zeichnet die Erzählerin ihre Träume auf, notiert sie in ein Heft, das Schreiben, so scheint es, schafft Anwesenheit und hält zusammen, was dabei ist, sich aufzulösen.

Morgens sitze ich am Tisch, meine Hand hält einen Stift, ich halte den Blick gesenkt. Schemenhafte Gestalten am oberen Blickfeldrand, die stete Täuschung, dort, am Horizont wären sie. (…) Versuche, den Blickfeldrand hinauszuschieben, ein kleines Stück nach oben und noch eines. Die Hand hält den Stift, ich halte die Verbindung, hebe den Blick weiter, zum Fenster, auf die Straße hinaus, weiter.

Laura Freudenthaler, Arson, Jung und Jung Verlag 2023.

Die zweite Gestalt, die den Text trägt, ist ein namenloser Er, eine in der Schwebe zwischen Realem und Imaginärem gehaltene Figur, vielleicht eine jener Traumgestalten, die die Erzählerin in den Tag hinüberzuretten versucht und mit der sie sich in der gemeinsamen Obsession für das Feuer mehr und mehr verbindet.

Er ist „ein unglücklicher Stadtbewohner, ohne Feuerstelle, ohne Herd“. Als Kind hat er sich am Rauch gewärmt, er weiß über die Feuer Bescheid, weiß um ihre Schönheit wie um ihre Zerstörungskraft, weiß, dass sie behütet werden wollen: „In alten Zeiten“, so heißt es im Text, „wurde das Feuer für die Nacht zugedeckt, schlafengelegt“. Als Experte für Wildfeuer arbeitet er am Meteorologischen Institut der Stadt, er hat Atemprobleme, und er schläft nicht. Nachts sitzt er über den Feuerkarten, auf denen die Brände der Welt eingezeichnet sind, in hell- und dunkelrot, orange und gelb, er zoomt sich in die Feuer hinein, als wären sie dadurch einzudämmen. Eine Therapeutin verordnet ihm Schlafhygiene: „Die Feuer brennen sowieso, ob Sie schlafen oder nicht.“ Also führt er Aufzeichnungen – über die trotz der Tabletten durchwachten Stunden, über das Rasen im Kopf, die globale Brandintensität; und manchmal dann doch ein „Notschlaf“: „viereinhalb Stunden, so sagt man, reichen zum Überleben“.

Mit ihm kommt eine Dimension in den Text, der die erzählte Gegenwart rückbindet an die evolutionäre Bedeutung des Feuers, und an das alte Wissen, das uns verloren ging. Arson lässt sich auch lesen im Blick auf die Menschheitsgeschichte, die von ihrem (vorläufigen) Ende her geschrieben wird: „Wir sind von den Hütern des Feuers zu Brandstiftern geworden.“

Das Überleben, das Feuer, der Schlaf und der Traum. Und die Trauer um das, was nicht zu retten sein wird. Das sind die großen Themen, die sich in „Arson“ verbinden zu einem Text, der das Unfassbare unserer Realität zu erfassen versteht und der zugleich Räume des Möglichen eröffnet. Wenn die Erzählerin sich nach einem Sturz auf den Mund, der sie nicht mehr sprechen lässt, in einem unbewohnten, verfallenden Hof einrichtet oder, wie es im Text heißt, „einnistet“, wenn sie die Gegend durchstreift, letzte Wildnisse aufsucht und ein „Gedächtnis für die Formen der Hügel“, der Landschaften, der Baumgruppen entwickelt, dann bedeutet das kein eskapistisches Heraustreten aus der Welt, sondern das Eintreten in neue und andere Formen von Verbindung, in eine Art des Weltbezugs, der die hierarchische Trennung und damit jene Herrschaftsbeziehung zwischen Mensch und Natur unterläuft, die uns erst in die Katastrophe geführt hat. Hier deutet sich an, was vielleicht noch Zukunft denken lässt. Hier scheint ein Bleiben möglich, ein vorläufiges, aber immerhin ein Bleiben.

Die Intensität des Textes, das Besondere seiner Poetik und seines Tons, und auch die Wirkung und Resonanz, die er auszulösen vermag, sind so nicht beschrieben. Man muss sich seiner Sogkraft überlassen, dem verdichteten Zusammenhang seiner Bilder, der sinnlichen Konkretheit und sprachlichen Prägnanz. Die Lektüre wird dann wörtlich zum Ereignis, sie ereignet sich auf jeder Seite, in jeder Passage, im einzelnen Bild, im einzelnen Satz.


© Jung und Jung Verlag

Arson von Laura Freudenthaler ist 2023 im Jung und Jung Verlag erschienen. Hier finden Sie alle Informationen zum Buch.

Die Besprechung von Petra Nagenkögel wurde in Ex libris. Das Bücherradio, Ö1, am 17.9.2023 erstveröffentlicht.


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Eine Antwort auf „Jemand muss die Traurigkeit aushalten“

Diese Rezension hat mir geholfen, „Arson“ von Laura Freudenthaler noch besser/leichter zu verstehen, hat mir Hinweise gegeben, die mir Dinge eröffnet haben, die ich vorher nicht gesehen hatte. Das Buch ist dadurch noch lesenswerter geworden. DANKE!

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