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auf jeden Fall Lektüren

Die Abenteuer des Jakob Walter

oder: eine nachdrückliche Empfehlung, Lorenz Langeneggers Romane zu lesen

Ich bin nicht mehr sicher, was mich vor mehr als zehn Jahren in der Rupertus Buchhandlung zu Lorenz Langeneggers Debütroman Hier im Regen greifen ließ. Womöglich war es der Klappentext, der mit einem Zitat von John von Düffel verhieß, der Autor verzichte „beinahe gänzlich auf das Spektakuläre“. Was mancher Rezensentin, manchem Leser als Drohung erscheinen mag, ist für mich seit jeher ein Versprechen.

Im Zentrum der Romane Hier im Regen (2009), Bei 30 Grad im Schatten (2014) und zuletzt Jahr ohne Winter (2019), alle im Jung und Jung Verlag erschienen, steht Jakob Walter. Sein Älterwerden verläuft parallel zum Publikationsrhythmus der Bücher, die von ihm erzählen. In Fünf-Jahres-Schritten greift Lorenz Langenegger kurze Ausschnitte aus dem Leben seines Protagonisten heraus: eines anfangs jungen, später nicht mehr ganz jungen Berners, der das Wunschbild des zufriedenen, weitgehend bedürfnislosen Menschen kultiviert, dem mit der Zeit aber doch Zweifel daran kommen, ob er dieser zufriedene, bedürfnislose Mensch tatsächlich ist – ob er sich, was seine Gemütsruhe angeht, nicht doch etwas vorgemacht hat.

„Um diese Unruhe zu besänftigen, muss es ihm gelingen, das Bild des von Grund auf anspruchslosen Menschen wieder herzustellen, das ihm von allen Bildern, die er von sich hat, das liebste ist.“

© Jung und Jung Verlag

In Hier im Regen steht Jakob Walter vor seinem 30. Geburtstag, er ist seit fünf Jahren mit Edith verheiratet, die für ein verlängertes Wochenende zu ihren Eltern nach Winterthur fährt und ihn mit seinen Gedanken zurücklässt. Warum lebe ich eigentlich an dem Ort, an dem ich eben lebe, warum lebe ich ausgerechnet in Bern? Handelt es sich um bloße Gewohnheit, oder um eine bewusste Entscheidung? Es ist die Sehnsucht, die kleinen und großen Entscheidung, die man trifft, nicht nur als angebracht oder als klug, sondern als schlichtweg richtig zu erachten, und sich im Gefühl dieses Richtig-Seins jedenfalls für eine bestimmte Zeit aufgehoben zu fühlen, die Jakob Walter umtreibt.

„Die Leben der anderen haben so einfache, schlichte Formen, denkt Walter. […] Sie gehen zur Schule, sie studieren, sie arbeiten, sie erziehen Kinder, sie bauen Häuser, sie feiern runde Geburtstage. Er beneidet sie darum, obwohl er weiß, dass die schlichte Kontinuität ein Trugbild ist. Im Alltag geht es vielen Menschen wie ihm. Das wohl geordnete Leben zerfällt in Einzelteile. Die Übersicht geht verloren. […] Jeder einzelne Augenblick muss mit all seinen Unsicherheiten, Zweifeln und Widersprüchen ertragen werden. Manchmal erscheint Walter diese Aufgabe nicht bewältigbar, geradezu unmenschlich.“

© Jung und Jung Verlag

Bei 30 Grad im Schatten setzt fünf Jahre später mit der Trennung von Edith ein, die ihn abrupt aus seiner eingeschliffenen Lethargie reißt und seinen Lebensentwurf erneut in Frage stellt. Begegnet uns Jakob Walter im ersten Roman als etwas weltfremder und zielloser Sonderling, wird seine Selbstbefragung zusehends drängender. Die Reisen, die ihn aus dem Alltäglichen und Gewohnten reißen und ihn auf sich selbst zurückwerfen, ziehen im Verlauf der drei Romane immer weitere Kreise. Ist es zunächst eine Zugfahrt an den Lago Maggiore, ins Tessin, steht der 35-jährige Jakob Walter am Ende von Bei 30 Grad im Schatten bereits an der Südspitze des Peloponnes, bevor er sich ernsthaft Gedanken über seine Rückkehr nach Bern macht.

© Jung und Jung Verlag

Im aktuellen Roman, Jahr ohne Winter, führt ihn eine 28-stündige Flugreise, die er nicht aus freien Stücken antritt, nach Australien, um sich auf die Suche nach Edith zu machen, die seit mittlerweile fünf Jahren nicht mehr seine Frau ist. Hatte er zuvor an zwei neuralgischen Punkten seiner Biographie aus eigenem Antrieb, aber mit unklarer Agenda, Urlaub vom Leben genommen, ist es nun ein Auftrag seiner Ex-Schwiegermutter Ursula, die ihn auf eine Reise schickt, die man mit gutem Recht abenteuerlich nennen kann. Am Ende scheint Vieles möglich, und Jakob steht vor der Aufgabe, einen langen Brief von Edith zu beantworten, an dessen Beginn die schlichte Frage steht: „Lieber Jakob, wie geht es dir?“

Guten Gewissens kann man mit der Lektüre von Lorenz Langeneggers Romantrilogie auch beim dritten Band beginnen, der zurzeit in Buchhandlungen aufliegt, die sich gut sortiert nennen dürfen. Alle drei sind feine Bücher, die erzählerisch jener drängenden, niemals aus der Mode kommenden Frage nachgehen, von der Robert Musil im Mann ohne Eigenschaften schrieb, sie die einzige, die „das Denken wirklich lohne“: jener nach dem „rechten Leben“.


Der Text beruht auf der Einleitung zur Lesung von Lorenz Langenegger bei der Leselampe am 22. Jänner 2020.

Bitte kaufen Sie Bücher in Ihrer lokalen Buchhandlung.


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