Kraft. Es ist eines dieser ausgeleierten Wörter, das uns oft dort entgegen kommt, wo die Worte fehlen, so wie in der Phrase: Das hat Kraft. Wenn Barbara Juch ein Essay mit dem Titel „Sport“ schreibt, ist nicht gesagt, dass sie über Sport schreibt; das Buch beginnt mit folgenden Zeilen:
„wenn es kraft haben soll, was man schreibt / stellt sich die frage: woher sie nehmen?“
Dass sich Kraft nur sinnvoll vorstellen lässt, wenn man bedenkt, dass sie sich ständig übersetzt, verdeutlicht dieser eröffnende Gedanke, der aus der Phrase herauszoomt, um den größeren Zusammenhang zu betrachten. Als gäbe es ein Rad, das Sport beständig in Poesie übersetzt, ohne Von und Zu: Über Über Über „in ein Wagnis [geworfen]“ (S. 21) aber verlässlich.
Wenn ich mich gegen alles andere, und für eine Ausfahrt auf dem Rad entscheide, wird es sehr schnell sehr konkret. Die Satzstruktur meines Körpers geht automatisch und oft federleicht in eine und dann und dann und dann-Logik über.
S. 33
Wo Sport schnell verleitet über die Anderen, über Wettkampf, Mannschaft, Dressur zum Faschismus zu kommen, zu den ‚ganz großen Themen‘, präzisiert Juch, wie durch Bewegung und ihre vom Zählen begleitete Wiederholung, durch diese Und-Grammatik des Sports das Ich in ein Verhältnis zum Körper kommt, das sich zur Selbsterkenntnis studieren lässt. Ausdauer, Bewegung ohne Kraftverlust, macht Verlässlichkeit und Leichtigkeit erlebbar und getragen davon bildet ein Moment des (Über-)Muts den eigentlichen Stockerlplatz.
Ein sportliches Verhältnis zum Schreiben lässt mich fragen, wie auf die Wiederholung einer immergleichen Abfolge nicht Automatismus und Abstumpfung folgen, sondern überhaupt erst die Möglichkeit von Eigensinnigkeit und Befreiung. Es lässt mich fragen, wie ich, weil ich mich schon so oft um die Reckstange gedreht habe, es auch wagen kann, inmitten einer Drehung den Griff meiner Hände kurz zu lösen. Wie ich, weil ich mich nicht festkralle, meinen Körper in ein Wagnis werfen kann.
S. 21
Wenn Barbara Juch in die Pedale tritt, übersetzen Riemchen und ineinandergreifende Zähne, nicht verbissen, die Trittkraft verlässlich in Poesie, in ein poetisches Verhältnis zum sportlichen Körper und sein Metrum, in Erkenntnisgewinnung, in eine Haltung, die sich nicht ausbrennen lässt. Lässig stellt Juch Sportler*innen, die geläufig auf Ausrüstung, persönliche Rekorde und insgeheim Wettkampf spitz sind, ihre Erkenntnissuche in den Weg, dass das eigentliche Interesse nicht der Kraft aber der Kraftübertragung, der Übersetzung gilt.
Sport von Barbara Juch in 2023 in der Edition Poeticon, Verlagshaus Berlin erschienen. Hier finden Sie alle Informationen zum Buch.
Franziska Füchsl liest am 22. Jänner 2024, auf Einladung des Literaturforums Leselampe, aus ihrem aktuellen Buch Die Straßen sind sichtbar, das soeben im Ritter Verlag erschienen ist. An diesem Abend werden Franziska Füchsl und Xaver Bayer lesen, mit ihren Texten interagieren die beiden Musiker*innen Elisa Visca und Thelonious Hamel. Hier finden Sie alle Informationen zur Veranstaltung.