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Zwei Gedichte

Dichten kann doch nur sein, das, / was namenlos ist, zu sagen, und / dem Nennen, seinen großen Verlockungen zum Trotz, / zu widerstehen

Verlockung

„Es gab keine Leere.“

Dichten kann doch nur sein, das,
was namenlos ist, zu sagen, und
dem Nennen, seinen großen Verlockungen zum Trotz,
zu widerstehen, das Wasser zu verlassen,
in dem sich mittig sein ließe, und, unnachgiebig, in
die Luft, in das Licht, in ihre durchsichtige
Leere, stets vom Rande, Fülle zu tragen.
Dichten kann doch nur sein, das,
was atmet, das Alte, immer wieder neu zu sagen, sich
dichtend, diesem schlichten Schmerz nicht zu
entziehen, sich, notwendig ungebärdig, sich
nie versagend, still und stetig hinzugeben, sich
dem Hinnehmen, seinen großen Verlockungen zum Trotz,
zu erwehren, und zu begehren, was nicht ist.
Dichten kann doch nur sein, dem,
was namenlos ist, seinen Anfang, seinen Ort, wiederzugeben,
sprechen zu lassen, was nur, dort, auf leeren,
über den Hohlraum gespannten Saiten, klingen zu lernen beginnen kann,
was, gebärdend in den Löchern steht und lauert, und wo
das Tier, das nicht lügt, inmitten der nahen Namen, wohnt, und wo
es, geduldig, aus der hellsten Lücke lugt.
Dorthin gehen, kann doch Dichten nur sein, wo
in der Wand ein Schlüsselloch, ein Schloss dahinter, ist, aber keine Tür:
hier die Worte hintragen, hier aufschließen, hier sich-ein-finden,
hier atmen, hier dem atmenden Ding wiederbegegnen,
seine Ländereien ohne Maß vermessen, nur hier
der Verführung nicht widerstehen, und in der Lücke,
die es nicht gibt, dichtend, kurz verschwinden.


Rückrückung

(„als spräche das Ding über sich selbst“)

Das lyrische Ich, will ich meinen,
gibt es nicht. Ich bin das Ding
in meinem Dinggedicht.
Das lyrische Ich, das sogenannte, ist ein
Besenstiel, ein Trugschluss, ist – mein Hexenschuss.
Ich schreibe ich und meine ich,
das Ich ist Blitz in meiner Regnung,
die Spannung zwischen Ich und Ich
entlädt sich, und, was nicht ist,
ist. Ich bin das Wort,
das sich bezeichnet, bezeuge jetzt,
das ich mich-zeigen-wagen-will, ich
zeuge, in der Schräglage, in meiner Schrift, von jener Sage, dass
ich bin, wo ich steht.
Mir sitzt, schreib ich ich,
im Nacken ein Buch,
dessen Rücken mein Rücken immer gerade
schon entspricht und dessen Bindung erst mich
mich regen lässt. Ich folge
dem possierlichen Personalpronomen
in das Ding, das
Gedicht heißt, wortwerdend,
dableibend, Ding im Ding,
Ich im Ich.


© Wallstein Verlag

Nasima Sophia Razizadeh liest auf Einladung der Literaturvereine prolit und Literaturforum Leselampe am 21. Jänner 2025 im Literaturhaus Salzburg aus ihrem Gedichtband Die Goldwaage, der im Wallstein Verlag erschienen ist. Alle Informationen zur Autorin und zum Buch finden Sie hier.

Weitere Informationen zum Lesungsabend mit Nasima Sophia Razizadeh und Eva Maria Leuenberger finden Sie hier.


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