Eine gemeinsame Sprache finden
Lena Gorelik & Yamen Hussein im Gespräch
Lena Gorelik und Yamen Hussein verbindet das Schreiben, und die Stadt München. Dort haben sich die beiden kennengelernt, sich gegenseitig die Stadt gezeigt und über das Schreiben geredet. Ihre Texte sind wütend und zärtlich, geschichtsbewusst und zukunftsoffen und handeln nicht zuletzt vom Begehren in schwierigen Zeiten.
Weiterschreiben.jetzt ist ein Portal für Literatur aus Kriegs- und Krisengebieten, auf dem Autorinnen, die im Exil leben, ihre Texte im Original und in deutscher Übersetzung veröffentlichen. Sie arbeiten in Tandems mit Autorinnen aus Deutschland zusammen und tauschen sich persönlich, politisch und künstlerisch aus. Yamen Hussein und Lena Gorelik sind so ein Tandem.
Heute, am 9. November 2020, wären Lena Gorelik und Yamen Hussein in Salzburg zu Gast gewesen, eingeladen vom Salzburger Literaturforum Leselampe. Leider musste die Veranstaltung im Literaturhaus abgesagt werden.
Hier können Sie nun ein Gespräch hören, das Annika Reich, die künstlerische Leiterin des Projekts „Weiter Schreiben“, mit Yamen Hussein und Lena Gorelik geführt hat. Die AutorInnen lesen außerdem aus ihren Texten, auch der Übersetzer Günther Orth kommt zu Wort.
Den Text Begegnungen von Lena Gorelik, entstanden in den letzten Monaten, können Sie auch hier am Blog nachlesen.
Die Melodie der Texte spüren
Orwa Saleh im Gespräch
Die Veranstaltung zu Weiter Schreiben hätte Orwa Saleh im Literaturhaus Salzburg musikalisch begleitet. Orwa Saleh ist syrischer Oud-Virtuose und Komponist, studierte am Higher Institute of Music in Syrien und dem Nationalkonservatorium im Libanon.
Am Ende des Interviews finden Sie ein Musikvideo von Orwa Saleh.
Annika Reich hat Orwa Saleh fünf Fragen gestellt:
Annika Reich: Du spielst die Oud. Was bedeutet dieses Instrument für dich? Und wie definierst du die Rolle der Oud für die Musikgeschichte neu?
Orwa Saleh: Meine Beziehung zur Oud ist eine sehr alte. Ich lernte Oud zu spielen, als ich acht Jahre alt war, weil das der Wunsch meine Mutter war. Alle meine Geschwister lernten ein Musikinstrument. Meine zwei Schwestern spielten westlich-klassische Instrumente und mein Bruder und ich orientalisch-klassische. Jeder meiner Geschwister liebte sein Instrument, nur ich nicht. Ich hasste die Oud, ich wollte ein Rock-Star sein. Mein Bruder und meine ältere Schwester hörten irgendwann auf mit der Musik, meine andere Schwester wechselte ihr Instrument und ich blieb bei der Oud.
Nach meinem Musikstudium und jahrelanger Konzerterfahrung änderte sich meine Beziehung zur Oud. Ich fühlte mich verloren. Ich war zwar ein exzellenter Oud-Spieler der in unterschiedlichen Formationen spielen konnte, doch hatte ich das Gefühl, nicht ich selbst sein zu können. Als ich aufhörte, anderen nachzueifern, fand ich mich doch noch selbst: in einer Mischung aus orientalischem Sound und Rock. Ich schloss Frieden mit der Oud, und die Oud schloß Frieden mit mir. So konnte ich andere Elemente und Seiten der Oud präsentieren.
Die Rolle der Oud für die Musikgeschichte neu zu definieren, war nicht mein Ziel. Ich wollte nur meinen eigenen Stil finden. Die Oud wurde mir anfangs aufgezwungen und erst später konnte ich zu ihr stehen. So wurde sie zu meiner Partnerin.
Annika Reich: Du spielst traditionelle und gegenwärtige Musik. War das schon immer so? Wie hat sich Dein Musikstil entwickelt? Hat sich deine Art, Musik zu machen verändert, seit Du nach Österreich gekommen bist?
Orwa Saleh: Am Anfang spielte ich klassisch-arabische Musik wie ich ausgebildet wurde. Jahrelang habe ich mich mit der Musiktheorie auseinandergesetzt. Doch bereits in Damaskus ging ich in Richtung Jazz. Ich spielte Saxophon und begann, ein bisschen mit der Oud zu experimentieren, doch noch war ich zu schüchtern, um damit auch aufzutreten. Nach meiner Ankunft in Österreich hat sich, dann alles verändert: Meine Persönlichkeit und meine Musik. Die Sicherheit und Freiheit, die ich in Österreich kennengelernt habe, ermöglichte es mir, den Schmerz, den ich davor gespürt habe, zu überwinden und diesen auszudrücken.
Zurzeit bin ich weder Syrer noch Österreicher.
Mein Leben in Damaskus fühlt sich wie ein Leben aus der Vergangenheit an, wie ein früheres Leben. Die Unsicherheit, die ich nach dem Verlust meiner Heimat verspürt habe, dieses Gefühl bleibt, egal, wohin ich gehe, dieser Zweifel oder Angst, meine neue Heimat ebenfalls zu verlieren. Ich werde weder wieder ein Syrer sein wie damals, noch werde ich ein Österreicher wie andere sein. Meine Musik reflektiert all diese Gefühle, Ängste und Zweifel.
Meine Erfahrungen mit Musiker*innen, die ich in Österreich kennengelernt habe, hat nicht nur mein Musikwissen erweitert, sondern auch mein Selbstbewusstsein gestärkt.
Zusammengefasst: Syrien gab mir das Erbe, der Weg gab mir die Herausforderung und Österreich gab mir das Selbstbewusstsein, Musik zu komponieren und die Freiheit, mich auszudrücken.
Annika Reich: Du trittst als Solist, im Duo „Basma & Orwa“, im Trio „MIT“ und in einem Ensemble auf. Was unterscheidet diese Projekte?
Orwa Saleh: Es ist schwer für mich, den Unterschied auf einer emotionalen Eben zu erklären, denn ich fühle mich jedem dieser Projekte verbunden.
Mit Trio MIT lernte ich „out of the box“ zu gehen. Umgeben zu sein von Christoph Cech und Andreas Schreiber gab mir die Stärke und führte mich. Ich lernte neuen Sounds und neuen Methoden im Umgang mit der Oud auszuprobieren und zu vertrauen.
Basma konnte mich mit meiner Vergangenheit versöhnen. Sie machte es mir möglich, die Songs meiner Großmutter neu zu interpretieren. Ihre Flexibilität und Experimentierfreudigkeit mit der Stimme machte aus mir keinen weiteren traditionellen Oud-Spieler, ich konnte ich bleiben und meinen Stil stärken. Vor meiner Zusammenarbeit mit Basma war ich eher instrumental Musik orientiert.
Unser erstes gemeinsames Album The songs we still remember ist eine Sammlung von Erinnerungs-Stückchen, die wir zusammengetragen haben. Doch haben wir diese alten Lieder nicht einfach wiedergegeben, wir ließen unsere Herausforderungen, Gefühle und unseren Weg in die Musik einfließen. Mit dem Ensemble erfüllte ich mir meinen Traum, eine Rockband zu gründen. Die dunklen Töne der Oud vermischen sich mit der eleganten Stimme von Basma Jabr, die Geschichten aus Syrien erzählt, während Mahan Mirarab mit seiner Gitarre die persischen Geister hervorruft. Alles in Einklang bringt der Drummer Sebastian Simsa, untermalt von dem schönen Klang von Judith Ferstls Bass. So webt das Ensemble einen jazzig-orientalischen und gar auch rockischen Klangteppich.Mit dem Ensemble auf der Bühne zu stehen, fühlt sich wie zu Hause an, ich bin in Wien und in Damaskus. Die Zuschauer*innen aus unterschiedlichen Nationalitäten zu arabischen Liedern gemeinsam tanzen zu sehen, erfüllt mich mit Freude.
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Eine Antwort auf „Weiter Schreiben“
Solche Begegnungen würden wir im Haus der Verantwortung in Braunau am Inn auch organisieren.