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Weisheit des Traums, Leichtigkeit und Fledermausklugheit

Zur Erinnerung an Catarina Carsten und ihr Werk

Viele Geschichten und Gedichte der Catarina Carsten sind ein unverkrampftes memento mori. Sie sind zutiefst vertraut mit den allzeit vorhandenen Gefährdungen und Verdunkelungen des Lebens, aber auch in ebenso intensivem Maße mit dem Wissen um die Kräfte des überwindenden Glaubens, der Liebe und der Hoffnung, die Rettung und Sicherheit verheißen. Catarina Carstens Dichtung will auch Trost vermitteln, der ihrer undoktrinären Religiosität entspringt und unablässig aus dem Bilderschatz der Bibel schöpft. Über ihr Selbstverständnis als dem Wort Verpflichtete hat sie geschrieben:

Auf die Frage nach meinem Beruf hab’ ich von jeher geantwortet: Schreiber. Befremden. Früher war ich noch höflicher als heute, habe hinzugefügt: Journalist. Oder Schriftsteller, was im ersten Fall mäßiges, im zweiten unmäßiges Interesse hervorrief. Seit ein paar Jahren beschränke ich meine Auskunft auf Schreiber. Kürzer kann eine Wahrheit nicht lauten.

Das Tal vor meinem Fenster 1987. Notiz 1984
© Verlag Edition Doppelpunkt

Catarina Carsten stammte aus einer katholisch-protestantischen Bürger-Familie – Buchhändler, Pfarrer, Lehrer waren die Berufe der Vorfahren. Der Vater war Bankdirektor, die Mutter Hausfrau. Ihnen widmet die Autorin eine ihrer bewegendsten poetischen Traum- und Sehnsuchts-Reisen, zuletzt in dem autobiographischen Skizzenbuch Hungermusik (1997): Die Ich-Erzählerin bricht gemeinsam mit dem Mädchen Barbara auf, um nochmals ihre geliebten Eltern zu treffen:

Meine Toten sind sehr lebendig. Auch die Eltern. […] Die Eltern sind noch nicht da. Sicher haben sie einen weiten Weg. Ich will noch warten. […] Die Eltern kamen nicht. Niemand sprach von ihnen […] […] „Sie kommen nie mehr, nicht wahr?“ [sagt Barbara] „Nein“, sagte ich, „nie mehr. Nicht einmal im Traum.“ Vorbei an den gewilderten Gärten, in denen nichts blühte. Aber ich wußte, daß hier früher einmal Glyzinien, Goldregen und Rotdorn geblüht hatten.

Hungermusik 1997

 

Früh findet Catarina Carsten zum Schreiben, vorerst aber hauptsächlich als Journalistin, die u. a. für den Berliner Lokalanzeiger arbeitet. 1945 kommt sie aus der zerbombten Hauptstadt in den süddeutschen Raum, in den Allgäu, wo sie bis Mitte der 1960er Jahre lebt und hauptsächlich für die Augsburger Allgemeine (zwischen 1947 und 1958) arbeitet, aber auch ihre erzählerische Begabung in Beiträgen für das Zeitungs-Feuilleton verwirklichen kann. Ein Band Legenden erscheint in diesen frühen Jahren um 1950. Mehrere Prosa-Bücher, die bei Herder in Wien/Freiburg erst seit 1980 publiziert werden, enthalten viele dieser frühen Arbeiten – humorvoll-heitere, unbeschwerte und leicht lesbare Prosa, so sagt Carsten heute darüber, eben „Alltag mit fliegender Feder notiert“, wie der sprechende Untertitel einer dieser Sammlungen lautet (Was eine Frau im Frühling träumt 1980). Carstens Erinnerungen aus ihrer Hungermusik (1997) wissen freilich auch Beklemmendes aus dem Leben einer Frau zu berichten, die, eingespannt zwischen den anscheinend unzerstörbaren Mechanismen des weiblichen Alltags und des Journalistinnenberufes sowie dem unaufhebbaren Bedürfnis nach poetischem und künstlerischem Ausdruck, fast zu zerbrechen droht. An vielen Stellen und in zahlreichen Anspielungen beschwört Carsten aber zugleich, sowohl in ihrer Prosa als auch in ihren Gedichten, jene lebenserhaltende Kraft, die Erschöpfung und Todeszugeneigtheit zu bannen versteht. Der Leitsatz dafür steht in ihrer Erzählung Das größte Kompliment, in der es der Kantor ist, der dem jungen Mädchen die knappste, zugeneigteste imperativische Lebens-Lehre erteilt:

„Leben Sie, zum Teufel nochmal, leben Sie! […] Und – auf die Gefahr hin, daß ich mich wiederhole – leben Sie! […] Merken Sie sich das.“ Ich merkte es mir.

Wenn es am schönsten ist 1995

Nachdem sie mit ihren drei Kindern und ihrem Mann, der an das Orff-Institut des Mozarteums berufen worden war, übersiedelt war, setzte sie vorerst ihre journalistische Arbeit fort. Ihr Hauptinteresse galt politischen Verbrechen und dem Psychodrama einer Betroffenen in der Zeit des Kalten Krieges (Der Fall Ottillinger. Eine Frau im Netz politischer Intrigen 1983) und Schicksalen am Rande der Gesellschaft – also in Not Geratenen und in psychischer Bedrängnis lebenden Menschen unter dem warnenden und zugleich wissenden Oscar-Wilde-Motto: „Wer unter die Oberfläche dringt, tut dies auf eigene Gefahr“. Ausdruck dieses Engagements sind mehrere, gut recherchierte und unsentimental geschriebene Bücher mit den Titeln Psychisch krank. Bericht einer Journalistin aus einer offenen Nervenklinik (1976) oder Wie Thomas ein zweites Mal sprechen lernte. Dr. Martin F. Schwartz und seine Arbeit mit Stotterern (1985). Ihre Lebendigkeit ist Carstens empathischem Blick in die Innenwelt von Betroffenen geschuldet und schöpft aus dem Wissensschatz der Weltliteratur und der Philosophie. „Die Schicksale kann man nicht erfinden. Die Wirklichkeit übertrifft jede Fantasie.“ (Morgen mache ich das Jüngste Gericht 1975) 


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