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auf alle Fälle Texte

Was wenn (die „Nicht-Zugehörigen“ verschwinden)

Eine Art Liste oder Gedicht.

Meine Ärztin heißt Denia, und in den Ferien fährt sie in die Türkei.

Mein Neurologe heißt Albert und seine Eltern sind aus Singapur

Mein Lungenarzt heißt Marcel und seine Eltern stammen aus Teheran

Meine Zahnärztin heißt Cristina und kommt aus Tirgu Mures

Mein Installateur heißt Emre

Der Bote, der mir montags, ein Paket bringt, heißt Tibor

Der Fleischer, der mir Lammkoteletts verkauft, heißt Younus

Der Bote, der mir dienstags ein Paket bringt, heißt Dimitri

Die Bäckerin, die mir das Brot reicht, heißt Maryam

Der Bote, der mir mittwochs ein Paket bringt, heißt Abdullah

Die Kassiererin im Supermarkt heißt Mariza

Der Taxifahrer, der mich zum Flughafen bringt, heißt Ahmed

Meine Physiotherapeutin heißt Monika, und ihre Eltern sind in Polen

Der Bote, der mir donnerstags ein Paket bringt, heißt Choukri

Der Taxifahrer, der mich vom Flughafen nach Hause bringt, heißt Rashid

Der Bote, der mir samstags ein Paket bringt, heißt Mohammed

Die Bäckerin, die mir sonntags das Croissant reicht, heißt Alisha

Der Mann, der mir die Zeitung verkauft, die ich sonntags lese, heißt Ali.

Und Makaltouma gießt die Beete, sogar wenn sie müde von der Arbeit ist

Und Mansoureh gießt die Beete auf der Terrasse verlässlich

Und Mansoureh muss sich von der Frau, die sie pflegt, schlagen lassen

Und Tatjana passt auf Kinder auf.

Und die Ärztin, die mir in die Ohren schaut, heißt Duala.

Und die Apothekerin, die mir Medikamente überreicht, heißt Ivana

Und der Kassierer im Supermarkt heißt Idriss

Und dann ist der fort.

Und dann sind sie alle fort.

Weil wir dann wir sind.

Und ich frage mich, ob Petra jetzt kassieren will.

Ob Manfred jetzt Pakete bringt.

Ob Lisa dann massiert.

Und wer mich aufhebt, wenn ich falle.

Und wer mich fährt.

Und wer mir die Rezepte ausstellt.

Und wer meine Lungen abhört.

Und wer meine Zähne kontrolliert.

Und wer mir die Pakete bringt.

Und ob Oliver jetzt den Abfluss repariert.

Und Herbert mir die Quitten bringt.

Und wer mir in die Augen schaut und mit mir lacht und mich umsorgt.

Wenn sie alle verschwunden sind.

Weil wir dann wir sind.

Nur mehr wir.

10.10.2024


© Weissbooks Verlag

Sabine Scholl präsentiert am 25. November 2024 ihren neuen Roman Transit Lissabon auf Einladung der Vereine prolit und Literaturforum Leselampe im Literaturhaus Salzburg. Alle Informationen zur Veranstaltung finden Sie hier. Weitere Informationen zur Autorin und dem Buch finden Sie hier.


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