Georg Eberl, 1893 in dem Pinzgauer Bergdorf Piesendorf geboren, schreibt in einem Beitrag zur Verteidigung der Regenwürmer, dass er „ausser dem Ungeziefer alle Tiere in gleichem Masse liebe.“ Tatsächlich tummeln sich in seinen häufig autobiographischen Texten zahlreiche Tiere:
Ob die Mäusemutter, die der kindliche Doppelgänger des Autors aus der Falle befreit, ob die beiden Ziegen Scheckin und Ramml, die der kleine Jörgl im Wildgraben hüten muss und denen er in die Ohren schreit, dass sie nicht so stolz tun brauchen, weil sie ohnehin weniger Milch geben als die neu erworbene Kuh Bleaml; ob von der Dattl, einer ganz besonderen Henne, erzählt wird, die zwar keine goldenen Eier legt, aber hin und wieder Eier mit zwei Dottern, was bei der Armut der Kleinhäuslerfamilie fast aufs gleiche herauskommt; oder ob der Icherzähler angeregt von der Predigt eines Afrika-Missionars seinen Tagträumen von Elefanten, Löwen und Krokodilen nachhängt … Anfang der 1950er Jahre sollte der pensionierte Eisenbahner und Verfasser von Zeitungsbeiträgen und autobiographischen Romanen dann einen Prosatext über seine enge Freundschaft mit der Zirkuselefantin Aida verfassen. All diese Geschichten, Episoden und Begegnungen sind von großer Unmittelbarkeit. Tiere, zumal Nutztiere, waren damals für alle Menschen, die in bäuerlichen Verhältnissen lebten, von großem wirtschaftlichen Wert. Außergewöhnlich für einen Dorfbewohner war aber Eberls geradezu franzisceische Liebe zur Kreatur, die ihn immer wieder dem Spott seiner Mitmenschen aussetzte. Der ledige Sohn einer Magd, der in den ersten fünf Lebensjahren als ‚Annehmkind‘, dann im sog. ‚Gabenhäusl‘ bei Großmutter, Mutter, Stiefvater und sieben ehelich geborenen Geschwistern aufwuchs und sich später, bis zu seinem 18. Lebensjahr als Schickbub und Jungknecht bei Bauern der Gegend verdingen musste, galt als „sonderbarer Kauz“, der seine wenigen freien Stunden lieber in der Natur und noch verdächtiger mit Lesen als im Wirtshaus und auf der Kegelbahn verbrachte, und der es ablehnte wie die anderen Männer zu rauchen, zu schnupfen, Karten zu spielen und zu trinken. Vor allem aber unterschied ihn von seiner Umgebung eine tiefe Sympathie für die Ärmsten der dörflichen Hierarchie, für die ausgesteuerten Dienstboten, Tagelöhner und Landstreicher. Gerade für sie, von deren Existenz häufig nicht einmal mehr ein Kreuz auf dem Friedhof zeugt, wollte er ein literarisches Andenken schaffen: für die „Hennenthres“, den Einleger Lorenz, die „Eder-Nani“, den „Schnapsgustl“, den „Körberlfranz“ u.a.m.
Georg Eberl hat die Gewalttätigkeit des bäuerlichen Milieus am eigenen Leib erfahren. Anders als der 1944 ebenfalls in Piesendorf geborene Autor Franz Innerhofer vermochte er jedoch auf Ressourcen zuzugreifen, die es ihm viele Jahre später ermöglichten, das Erfahrene mit humorvoller Distanz darzustellen, ohne dabei jedoch die ländlichen Machtverhältnisse und das daraus erwachsende Unglück zu idyllisieren.
Zu den mancherlei Eigenschaften, die ich schon in früher Kindheit hatte und die mir, wenn auch in etwas abgewandelter Form auch heute noch anhaften, gehören eine fast unstillbare Wißbegier und eine geradezu andächtige Liebe für allerlei Kram. Durch meine unzähligen Fragen brachte ich die arme Großmutter manchmal schier zur Verzweiflung, so daß sie sich oft nicht mehr anders zu helfen wußte, als mich auf eine Stunde oder länger zur Tür hinauszuschieben. Weil ihr, wie sie klagte, von der ewigen Fragerei schon der Kopf brummte. Auf den Wegen und am Bachufer, vor allem aber bei den verschiedenen Abfallgruben, klaubte ich tagsüber alles zusammen, was mir irgendwie wertvoll erschien und steckte es ein. Jeden Abend räumte die Großmutter meine Hosensäcke aus. Teils brummend, teils lachend, legte sie die verschiedenen Dinge, die da zum Vorschein kamen, wie rostige Nägel, glitzernde Steine, verschiedenfarbige Glasscherben, Zwirnspulen, Bleistiftstumpen, leere Zündholzschachterln, ausgeschossene Patronenhülsen, zerbissene Pfeifenspitzen und anderes mehr erst auf den Tisch, um dann meist alles zusammen in den Ascheneimer zu werfen, aus dem ich, wenn die Großmutter nicht sehr gut aufpaßte, wieder manches ‚wertvolle‘ Stück für mich zu retten vermochte.
Georg Eberl, „Ich war ein lediges Kind“, 1952
Literaturhinweise:
Georg Eberl. Die bessere Heimat. Hg. v. Siegfried Hetz. Mit einem Nachwort von H. Holl. Salzburg, Wien: Otto Müller 1993 (Salzburger Bibliothek Bd. 1); Georg Eberl: Ich war ein lediges Kind. Wien: Kremayr & Scheriau 1952 (Wiederauflage: Hg. v. Siegfried Hetz. Salzburg, Wien: Otto Müller 1997 (Salzburger Bibliothek Bd. 5)
Silvia Bengesser hätte am 2. April 2020 ein Literaturfrühstück zu Georg Eberl gestaltet. Dieses Literaturfrühstück wird am 5. November 2020 im Literaturhaus Salzburg nachgeholt, veranstaltet vom Literaturforum Leselampe.