Ich bin so froh, dem Businessreisenden eine Zeitlang nicht mehr zu begegnen. Sein Bildschirm grundsätzlich aufgeklappt mit hochphilosophischer Power-Point- oder Keynote-Präsentation, seine rechtschaffene Stimme sonderte Satzfetzen ab. Er wollte „das Kundenzuwachs-Konzept challengen, aber auf Augenhöhe“, er forderte „für die Roadmap ein zeitnahes Commitment“. Auch die Abwesenheit des Kreuzfahrtspärchens in meinem Leben schadet wenig. Einst blockierte es mit City-Rucksack und Kurzhose das Umfeld von Sehenswürdigkeiten. Den lokalen Einzelhandel zerstörend, überflutete es die Stadtkerne und kaufte Kühlschrankmagneten, Sinnsprüche-T-Shirts oder Ethno-Schmuckmüll. Die Schiffe, auf die es sich nachts zurückzog, zerstörten wiederum Lagunen und Meere. Businessreisende und Kreuzfahrtspärchen wurden nun repatriiert.
Auch für mich endete, zumindest vorerst, eine Ära – die des professionellen Reisens. Doch Reisevergnügen hängt weniger an der Destination als an der Geisteshaltung. Die schönste Berglandschaft, die pulsierendste Metropole, der weißeste Strand wird all jene enttäuschen, die sich nicht darauf einlassen. Coronabedingt bringt 2020 für Profi- und Routinereisende interessante Erkenntnisse – zunächst durch Beschränkung des Radius auf Wohnung und Umgebung. Für die einen ein haarsträubender Horrortrip, erwies sich der Menschenversuch für andere als aufschlussreiche Expedition, als Blick auf Gewohntes in neuem Licht.
Man sollte die nächste Umgebung zum Ziel der Neugier machen. Nicht Traumstrand, Shoppingmeile oder Frühstücksbuffet – interessanter ist die Erforschung von baufälligen Häusern, stillgelegten Baustellen, Aussichtspunkten. Corona als vielleicht nie wiederkommende Gelegenheit für eine neue Art der Besichtigung unserer Umgebung.
Der 1914 geborene britische Schriftsteller Laurie Lee beschreibt in „An einem hellen Morgen ging ich fort“ seine England- und Spanienreise in den krisenhaften Dreißigerjahren. Asphaltbänder beherrschten damals noch nicht die Topographie: „Ich hatte großes Glück, damals auf Wanderschaft zu gehen, als das Land noch nicht platt gewalzt war. Viele der Landstraßen (…) folgten zärtlich der Windung eines Tales. Das alles ist noch nicht so lange her, doch könnte heute niemand mehr meinem Weg nachgehen. In der Zwischenzeit hat das Auto die Landschaft zerstückelt, der Reisende durchbraust sie auf Rinnsteinhöhe und sieht dabei noch weniger als ein Hund im Straßengraben.“
Sollte man die letzten Reste der Wanderschaftswelt nicht doch bewahren? Schon bisher beruhigte mich der Gedanke, dass sich ein Land wie Bhutan nicht völlig dem Touri-Wahnsinn hingibt. Und mich beunruhigt, wenn Regimes wie das Bolsonaro-Brasilien die Vernichtung ihrer Natur-Ressourcen aktiv fördern. Deshalb sollten wir alles unternehmen, um nach der Krise die Macht nicht den skrupellos-populistischen und immer auch charakterlos-wirtschaftsfreundlichen Ausverkäufern zu überlassen. Denn die atmen ja nur durch und schmunzeln. Das Virus ist ihr Freund! Es eignet sich zwar wenig zur Befeuerung von Verschwörungstheorien, dafür ist es zu global. Auch wurde es nicht von Migranten eingeschleppt. Trotzdem erreichte es innerhalb weniger Wochen all das, was Demagogen betört: geschlossene Grenzen, Nationalismus, Ausnahmezustand, kurz, eine globale Krise.
Meine zukünftigen Reisen werden regionaler und fragmentarischer sein. Vielleicht mache ich es wie jener Lissaboner Globetrotter im Text des sanften Laurie Lee, der es – in zwei Jahren Weltreise – immer nur bis Cádiz schaffte, weil er jedesmal daheim etwas vergessen hatte.
Martin Amanshauser, Wien
2 Antworten auf „Reiseschriftsteller ohne Reisen“
Regionalreisen, genau! Wie Herr Faustini, die Figur, die Wolfgang Hermann geschaffen hat.
Eine neue Art der Besichtigung unserer Umgebung wäre ein gutes Ziel für einen Tourismus nach Corona. Großartige Geschichte von Amanshauser!