Gegen Ende ihres Lebens hat Ingeborg Bachmann Italien und den Italienern das schönste Kompliment gemacht, das man sich vorstellen kann:
Gelernt habe ich etwas von den Italienern, das ist schwer zu erklären. Denn man kann von ihnen etwas lernen, wenn man alles wegwirft, jede Vorstellung, die man sich vorher gemacht hat davon. Es sind nicht die Schönheiten, nicht die Orangenbäume und nicht die herrliche Architektur, sondern die Art zu leben. Ich habe hier leben gelernt.
Ab 1953 war Rom der Lebensmittelpunkt der Autorin, und obwohl sie die Stadt aus finanziellen Gründen mehrmals verlassen musste, kehrte sie immer wieder an diesen Ort ihrer Wahl zurück. Angesichts einer erzwungenen Trennung schrieb sie im Herbst 1955 an ihren ebenfalls italophilen Freund Hans Werner Henze: Mir tut der ganze Körper weh, so arg ist mir’s, nicht in Italien zu sein.
Die häufigen Wohnungswechsel Bachmanns innerhalb Roms kann man hier per Hyperlink nachverfolgen. Jetzt, wo wir vielfach auf das Bewohnen unserer eigenen Behausungen reduziert sind, ist der Klick auf die Wohnadressen der Autorin vielleicht eine willkommene Möglichkeit, den eigenen vier Wänden für Augenblicke zu entkommen. Bachmann wohnte zunächst kurz in der Via Ripetta 226 (1953), dann fast zwei Jahre auf der Piazza della Quercia 1 (Ende 1953 – Mitte 1955) und Anfang 1957 bis Herbst 1958 in der Via Vecchiarelli 38. Auch mit ihrem zeitweiligen Lebensgefährten Max Frisch teilte Bachmann in Rom zwei Wohnungen, zuerst (1959) in der Via Giulia 102 und dann ab dem Frühjahr 1961 in der Via de Notaris 1F. Das Zusammenleben mit einem anderen Schriftsteller gestaltete sich jedoch für beide schwierig, denn sie unterschieden sich sehr in ihrer Arbeitsweise und auch in der Art, wie sie Rom zu ‚ihrer‘ Stadt machten. Bachmann saß gerne in den Cafés im Zentrum, erwanderte sich die Stadt aber auch in stundenlangen Spaziergängen und meinte schließlich, die Stadt besser zu kennen als die Römer*innen selbst. Bachmanns letzte Wohnung befand sich in der Via Giulia 66, davor mietete sie eine Wohnung mit großer Terrasse in der Via Bocca di Leone 60, die sie als Castell bezeichnete und sich dort geborgen wusste. Schutzbedürftigkeit und der Wunsch nach Wehrhaftigkeit drücken sich aus, wenn sie von dieser Wohnung sprach. Ein Jahr nach Bachmanns Tod gedachte Marie Luise Kaschnitz der Freundin mit dem Gedicht Via Bocca di Leone und beschreibt darin sowohl die Wohnung als auch ihre Bewohnerin als verletzlich:
Wohnung, dieses Versteck / Mit keinem Fenster / Zur Straße hin / Via Bocca di Leone […] Ängste dir zugemutet / Gewitter und auf der Terrasse / Der riesigen kiesbedeckten […] Und Krankheiten rätselhafte / Taubwerden der Glieder / Schwinden der Sinne / Nacht vor den Augen […] Dein zierlicher Salon / Dein rosa und weißes Bad / Schützte dich alles nicht […]
Unmittelbar vor Bachmanns tragischem Tod im Herbst 1973 entstand durch Gerda Hallers Film Ingeborg Bachmann in Italien ein geistiges Vermächtnis der Schriftstellerin, in dem sie noch einmal vor dem Hintergrund ihrer Lieblingsorte in Rom den Glauben an eine bessere Zukunft ihren Krisen und Krankheiten emphatisch entgegensetzt. Orte, die Ingeborg Bachmann in Rom wichtig waren, erscheinen auch an prominenter Stelle in ihrem Essay Was ich in Rom sah und hörte (1955). Von der Tradition einer verklärten Italiensehnsucht distanziert sie sich bewusst. Rom ist Bachmann schlicht zur Notwendigkeit geworden, sie wird nach allen Aufbrüchen immer wieder hierher zurückkehren.
Literaturnachweise:
Ingeborg Bachmann: Ein Tag wird kommen. Gespräche in Rom. Ein Porträt von Gerda Haller. Mit einem Nachwort von Hans Höller. Salzburg 2004; Ingeborg Bachmann – Hans Werner Henze: Briefe einer Freundschaft. Hg. von Hans Höller. Mit einem Vorwort von Hans Werner Henze. München/Zürich 2004; Marie Luise Kaschnitz: Gesammelte Werke in sieben Bänden. Hg. von Christian Büttrich und Norbert Miller. Bd. V: Die Gedichte. Frankfurt am Main 1985; Irene Fußl und Arturo Larcati: Das Rom der Ingeborg Bachmann. Photographien von Angelika Fischer. Berlin 2015.
Eine Antwort auf „„Mir tut der ganze Körper weh, so arg ist mir’s, nicht in Italien zu sein.““
Und die Hausfassade im Hintergrund machen die Vorstellungskraft über das damalige Wirken von Ingeborg Bachmann noch ein Stück stärker. Schöner Text!