Der Büchnerpreis, wie wir ihn heute kennen, wurde im Jahr 1951 zum ersten Mal vergeben. Bevor er zum bedeutendsten Literaturpreis in Deutschland wurde, war er für hessische Künstlerinnen und Künstler aller Sparten vorgesehen, für Keramiker ebenso wie für Komponisten oder Schauspielerinnen. So entwickelte sich der Preis von regionaler Bedeutung zu einem von außerordentlichem Renommee. Wem die Auszeichnung zuteil wird, schreibt Literaturgeschichte und gehört zum Kanon. Einerseits. Er steht unter strenger Beobachtung der Öffentlichkeit, deshalb werden Entscheidungen auch immer wieder heftig kritisiert. Den Beginn müssen wir uns als einen holprigen vorstellen. Sieben Jurymitglieder bildeten in ihren Haltungen und ihren Biografien die Widersprüche der jungen bundesdeutschen Gesellschaft zwischen Neuanfang und Verdrängung ab. Neben untadeligen Persönlichkeiten nahmen auch fragwürdige Gestalten ihren Platz ein. Man muss nur Rudolf Pechel dem umstrittenen Frank Thiess gegenüberstellen.
Den Vorsitz nahm Pechel (1882-1961) ein. In der Weimarer Republik arbeitete er als Journalist und pflegte Kontakte zu national-konservativen Kreisen. Ab 1919 gab er 23 Jahre lang die Zeitschrift „Deutsche Rundschau“ heraus, in der er nicht ohne Fanatismus die großdeutsche Idee vertrat. Vor allem Arthur Moeller van den Bruck und dessen Juni-Klub fühlte er sich eng verbunden. Der Vertrag von Versailles galt diesem wie auch Pechel als Schandmal, das getilgt werden musste. Zu Hitler und dessen totalitärem Machtanspruch ging er auf Distanz, bald auch in den Widerstand. 1942 wurde er verhaftet und in verschiedene KZs verbracht. Unmittelbar nach dem Krieg wurde er zum Mitbegründer der CDU und begann erneut journalistisch zu arbeiten. Dass er sich in besonderem Maße für Literatur interessiert hätte, ist nicht bekannt.
Frank Thiess (1890-1977) arbeitete als Schriftsteller und hatte in der Zwischenkriegszeit einigen Erfolg mit Romanen, die heute vergessen sind. Dazu gehören die Tetralogie „Jugend“ und „Johanna und Esther – Eine Chronik ländlicher Ereignisse“. Die Romane „Frauenraub“ und „Die Verdammten“ standen auf der Liste der verbotenen Bücher. Einen Essay wie „Die Stellung der Schwaben zu Goethe“ von 1915 würden wir heute nur ungern lesen. Dennoch publizierte Thiess ungehindert die Nazijahre hindurch, um nach dem Krieg sofort wieder nach Aufmerksamkeit zu heischen mit so unverfänglichen Titeln wie „Caruso in Sorrent“ und „Die Straßen des Labyrinths“. Man kommt nicht umhin, Thiess als eine zwielichtige Figur im kulturellen Leben der jungen Bundesrepublik zu bezeichnen. Selbstbewusst bekannte er sich in Abgrenzung zum Emigranten Thomas Mann dazu, sich während des Dritten Reiches in die Innere Emigration begeben zu haben. Die beachtliche Liste an Veröffentlichungen lässt sich schwer mit seiner eigenen Einschätzung in Einklang bringen. Später kannte er keine Hemmungen, sich im rechtsextremen Milieu zu bewegen.
Als ersten Preisträger einigten sich die Juroren auf Gottfried Benn. Das war ein Signal für gediegenes Schwarz-Weiß-Denken. Er konnte auf ein umfangreiches Werk zurückblicken, stand der Moderne nahe und war unverwechselbar. Mit dieser Entscheidung konnte nichts schiefgehen, es gab keinen Grund zum Tadel und keinen, sich überrascht zu zeigen. Mit 65 Jahren hatte er ein respektables Werk vorzuweisen, das seit seinen expressionistischen Anfängen zum größten Teil in der Weimarer Republik geschaffen worden war. Er repräsentierte die Moderne, an die anzuknüpfen wieder geraten war. Er nahm Vorbildcharakter für eine Generation an, die wie Benn von der Auffassung getragen war, dass die Welt ein finsterer Ort und die Menschen in ihr unberechenbare, zur Grausamkeit neigende Gestalten sind. Ohne Makel war seine Biografie keineswegs. Immerhin begrüßte er die Machtübernahme durch die Nationalsozialisten mit der Schrift „Der neue Staat und die Intellektuellen“ (1939), auch wenn er bald zu ihnen auf Distanz ging und sich das Schreiben versagte. 1948 war er wieder da mit dem Band „Statische Gedichte“.
Günter Eich, Uwe Johnson, Ingeborg Bachmann, zuletzt Elke Erb, der Georg-Büchner-Preis versammelt große Namen. Man wird kaum einen finden, über den man kopfschüttelnd den Stab bricht.
Anton Thuswaldner hätte am 4. Februar 2021 die Geschichte des Büchnerpreises und seiner PreisträgerInnen bei einem Literaturfrühstück aufgerollt, veranstaltet vom Literaturforum Leselampe.
Die Veranstaltung musste aufgrund der aktuellen Situation abgesagt werden und wird zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt.