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forever young

ein Gedichtzyklus von Ötzi

Die Künstlerin und Autorin Ariane Koch eignet sich in ihrem Hörstück durch Fiktion die Jahrtausende alte Menschheitsgeschichte an: Seit einigen Jahren fristet Ötzi im Südtiroler Archäologiemuseum ein stilles Dasein – nun tritt er erstmals als Dichter in Erscheinung. Hier lesen Sie Ötzi.

Ötzi

Manchmal des Nachts
Schlüpf ich ins Kostüm
Schleich’ aus der Kühltruhe
Klirre durch die Gassen
Hinein in die Kellergewölbe
Das Diskolicht mir verschiedenfarbig entgegenblinkt

Frauen sich tummeln vor dem Pult
Schöne Augen klimpern
Mich mit etlichen Drinks bewerfen
Welche ich in mich leere

Des DJ Tränen
Sind das Gift in euren Gläsern
Das ihr nennt Bier
Uh Ah Uh Ah

Der Gin mir aus dem Gerippe läuft
Wenn ich zu überschwenglich trink’
Ich vertrag drum nicht allzu viel
Und wenn ich mal wieder hacke bin
Gesteh ich dem Urpferd meine Lieb’


Draußen fallen Wasserfäden vom Himmel
Das Licht sich eingehüllt in Nebel
Der Anblick der Berghänge
Macht das Herz so schwer
Welches in Wirklichkeit
Nur wiegt ein paar Gramm


Wenn ihr eine andere Mumie findet
So steckt sie in den Berg zurück
Die ist doch eh nur Kompost
Im Gegensatz zu mir

Wer braucht schon Tutanchamun
Den alten Patriarch’
Wenn er haben kann
Ein braungebranntes Mannequin
Mit schriftstellerisch’ Talent


Ich hole mir noch ein Bier
Immer noch ein Bier
Manchmal flimmert mir
So als hinge ich noch immer
Im Übergang zum Sterben fest
Manchmal flimmert mir
Wegen der schieren Zufälligkeit
Einer Existenz

Aber dann sauf ich einfach weiter


Ein erster Pfeil mich getroffen
Dann der nächste
Im Schmelzwasser abgerutscht
Der Grasmantel hängengeblieben
Strauchelte ich in die Mulde
Sterbend die Hand gehoben
Den Tode grüßend

Einbalsamiert und eingewickelt in Leinen
Gelegen auf Gold
In Gräben wie Paläste
Edle Schätze die Grabkammern zieren
Ruhen die Pharaonen

Ich hingegen ohne jede Gabe
Lag unfreiwillig allein
Im Bett aus Schnee
Kein Hilferuf meinen Stamm erreichte
Nur die Vögel am Himmel kreisend wissen
Um ihr bevorstehendes Mahl


Wer hat mich niedergeschossen
Wenn nicht der Yeti
Mit Pfeilen aus Schiefer
Mich überführt ins ewige Sterben

Wer hat mich niedergeschossen
Wenn nicht der Yeti
Der fellige Choleriker
Hatte schon immer was gegen mich


Man mich schaukelnd den Berg hinuntertrug
Nun doch als grabgeräuberter Pharao
Im Tal angekommen
Das Volk herbeigeströmt

Ich zu ihnen:
Nehmt die Uhren von den Wänden
Und hängt die Ötzis auf stattdessen
Wer Tod und Zeit hat überlistet
Gehört gefeiert

Aber die Menschen nur schauten
Wie Schafe aus der Wäsch’
Anstatt mir endlich zu reichen
Ein anständig’ Gewand


Ich habe keine Lust
Zu sein müssen Mumie
Wenn ich doch eigentlich bin ein Dichter
Aristoteles und Konsorten
Können sich trollen
Ihre Schriften ich austausch’ mit meinen


Ans angehauchte Vitrinenglas
Schreibe ich Liebesworte
Die du mit warmen Nüstern
Wegzuschnauben pflegst

Das Pferdeartige
Die Spannung der Haut
Welche über Knochen gespannt
Der Geschmack der warmen Stutenmilch
Die schon meine Eltern mir einflößten
Als ich noch war Kleinmensch

Mein Bett aus Stutenfell
Mein Kleid aus Stutenhaut
Mein Spieß aus Stutenhuf


Die Gedichte und das Hörstück entstanden im Auftrag von Kunstraum Niederoesterreich.


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