Gedichte schreiben mit Hunden – und für sie. Ein Versuch über Multispezies-Poesie
Dass Tiere sich auf unsere Art sprachlich Ausdruck verschaffen, gehört üblicherweise in den Bereich der Fabeln und Märchen. Sehen wir ab von Versuchen, Primaten oder Papageien menschliche Begriffe zu vermitteln, und lassen wir die Konditionierung von bestimmten Wörtern als Signale für bestimmte Tiere beiseite, so sind wir Menschen mit unseren ca. 7000 Sprachen, die aktuell ethnologischen Schätzungen zufolge auf diesem Planeten gesprochen werden, ziemlich allein. Und gleichzeitig steigt das Interesse daran, sich mit anderen Tieren zu verständigen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Art, in der Welt zu sein, zu erkunden, und ein Stück weit auszubrechen aus einer im letzten unumgänglichen Anthropozentrik. Davon sind nicht zuletzt die zahllosen Gedichte, in denen verschiedenste Tiere – vom Dodo bis zum Klon-Schaf Dolly – seit gefühlt der letzten Jahrtausendwende ihren Auftritt haben, beredtes Zeugnis.
Beredt, ja, aber zeugen diese Gedichte denn eigentlich von den Tieren selbst? Können diese Texte mehr vermitteln als die sprachlich verfassten Vorstellungen und Wissensbestände, die Menschen von anderen Tieren haben? Und wenn das alles wäre, wäre das genug? Die Autorin dieser Zeilen hat selbst zu dieser lyrischen Menagerie wiederholt beigetragen und tut es noch. Zugleich muss man sich als jemand, der mit anderen Tieren und für sie lebt, diese Fragen gefallen lassen.
Viele dieser Gedichte sind auch mit einem moralischen Impetus verbunden. Da wird Kritik geübt an den herrschenden Machtdiskrepanzen in den Mensch-Tier-Beziehungen. Man geht „auf Augenhöhe“ mit dem Tier und versucht sich in poetischen Zirkelübungen einer Art Herzensbildung. Dass nun gerade Gedichte schon aufgrund ihres begrenzten Wirkungskreises das Problem verschärfen, dass solch moralisch modulierte Literatur primär von einer sich schon auf eine bestimmte Art Tieren zugeneigt verstehenden Leserschaft gewürdigt wird und oft auch nur einen begrenzten Effekt hat – geschenkt. Was aber haben andere Tiere selbst davon, wenn Menschen poetische Mittel bemühen, um Anliegen und Perspektiven, die von Menschen und anderen Tieren geteilt werden, Ausdruck zu verschaffen? Bei all der Sichtbarkeit von Tieren in der zeitgenössischen Lyrik ist die Leserschaft doch immer menschlich.
Solch von Menschen und anderen Tieren geteilte Anliegen und Perspektiven sind allerdings real – gerade dort, wo die lautlichen und emotionalen Qualitäten von Sprache bemüht werden, und wo man nicht immer einen Punkt machen muss, werden Menschen in der ihnen eigenen Tierlichkeit verstehbar. Das ist gerade kein Anthropomorphismus, sondern die Wieder- oder Anerkennung derjenigen Aspekte, die Menschen mit anderen Tieren teilen. Zugleich erlaubt es die Lyrik, die immer auch kulturell geprägten Beschränkungen von menschlicher Sprache aufzubrechen und mit neuen Ausdrucksformen zu experimentieren. Da nun Tiere selbst über eigene Sprachen (ja) und über Kultur (ja!) verfügen, dürfte sich dieses Genre am besten dafür eignen, um menschliche Sprache durchlässig werden zu lassen. Eine gelungene multispezielle Hybridisierung von menschlicher Sprache mag schließlich anderen Tieren zugutekommen, denn immerhin prägen Sprachgewohnheiten sowohl das Denken als auch das Handeln. Irritationen dieser Gewohnheiten haben damit mindestens einen sprachkritischen Wert, der über das, was jeweils ausgesagt wird, hinausgehen kann. Wir kennen das von Debatten über Gender-Mainstreaming.
Deswegen ist es Zeit, Gedichte endlich nicht mehr nur über andere Tiere, sondern mit ihnen und für sie zu schreiben. Eine entsprechende „Multispecies Poetry“ wird derzeit in einem internationalen Team bestehend aus Menschen und Familienhunden entwickelt. Hunde eignen sich als Pioniere in dieser Angelegenheit am besten, da sie, wie kaum eine andere Spezies, überhaupt ein Interesse an uns Menschen haben, welches erlaubt, in Beziehungen zu treten, die, wenngleich kaum ernsthaft von Gleichberechtigung, dann doch zumindest von wechselseitigem Nutzen und eben solcher Zuwendung und Freude geprägt sein können. Von Juni bis Oktober 2022 werden hauptsächlich zwei Ansätze verfolgt, die es erlauben, tierliche Akteurschaft in Ko-Autorschaft zu verwandeln: Zum einen werden Formen und Muster von teilnehmenden Hunden übernommen, um in historischer Literatur zu Domestikation, Rassen und zur Kontrolle von Hunden mittels „Ausradierungen“ und Überschreibungen zu Bildgedichten zu kommen. Zum anderen werden lyrische Notate zu von den Hunden geführten Geruchsspaziergängen verfasst, um die Lyrik und Düften gleichermaßen kennzeichnenden Formen von Verdichtung, Evokation und Erinnerung in Geruchsgedichten zu verschalten. Mit dabei von dieser hoch-experimentellen aber gewalt- und zwangfreien Poesie-Partie sind Hunde mit ganz unterschiedlichen Hintergründen, Gewohnheiten und Spezialisierungen: vom Ex-Zollhund zu „schweren Jungs“, von der der Welpenproduktionsmaschinerie entkommenen Zuchtmutter bis zum gewieften Überlebenskünstler, vom Sichthetzer bis zur Stöberkönigin. Enorm unterschiedlich sind auch die teilnehmenden Menschen. Doch eine Sache haben sie gemein: Sie sind neugierig darauf, wie kreativ ihre Hunde eigentlich sein können (und sie mit ihnen) und was Menschen von Hunden über die Wahrnehmung von Welt lernen können – und sie haben Lust, Gedichte zu produzieren, die letztlich auch von Hunden gelesen werden können. Gewiss, deren Interpretation mag dann jeweils eine ganz andere sein. Doch auch das erlaubt die Lyrik.
Mara-Daria Cojocaru, London
Präsentiert werden die Arbeiten im Rahmen einer Lesung und Ausstellung im Februar 2023 – stay tuned #multispeciespoetry, #learningfromanimals.
2021 wurde Mara-Daria Cojocaru mit dem Mondseer Lyrikpreis ausgezeichnet, der ihr im am 18. Juni 2022 feierlich überreicht wurde. Anlässlich der Preisverleihung hat Mara-Daria Cojocaru ein Gedicht verfasst und als Video gestaltet: