Mit einem Mal schien das kulinarische Instrumentarium eine andere Sprache zu sprechen, schielte weder auf ein Dankeschön für jahrzehntelange Verköstigung, genügte sich aber auch nicht länger als Hinweis auf ein unterhaltsames neues Hobby. Was der Vater sah, buchstabierte in umständlicher Manier, wie Spuren am Tatort eines noch nicht verübten Verbrechens, dass sein Sohn gar nicht daran dachte, in den Familienbetrieb einzusteigen. Weder würde er dem Marketingkonzept einen zeitgenössischen Anstrich verpassen noch die Warenpalette um ein innovatives, auf seine Generation zugeschnittenes Produkt erweitern. All das las er in den Gedanken seines Vaters, und er las dort auch, dass sein Erzeuger, der Anführer der Holzarbeiter, mit so etwas nicht gerechnet hatte, nicht, bis es denn nun soweit hatte kommen müssen.
Hielt ein Betrieb, wie jener, den der Vater im Schweiße seines Angesichts aufgebaut hatte, etwa keine vielversprechende Zukunft für einen jungen Mann bereit? Eine Zukunft, die, sobald sie angebrochen wäre, daran erinnern würde, dass jemand sich nicht ausschließlich der Gegenwart verpflichtet gefühlt hat?
Inzwischen hatte Lambert seinem Vater einen Platz angeboten, und sobald der Vater saß, vernahm er auch schon den behutsamen Anschlag einer Fingerkuppe auf dem Backblech, womit eine Verbindung zwischen Material und Mensch hergestellt schien. Ein erster Kontakt, von dem ausgehend einer sich rege entfaltenden Kommunikation nichts mehr im Wege stand. Stetig zogen Lamberts Finger, die offenbar mit Backpapier umwickelt waren, Bahnen über das Blech, setzten fallweise ihre Nägel ein, was ein beständiges Kratzen und an den Rändern eine Art Scheppern erzeugte, wie … der Vater musste nicht lange überlegen: wie eiserne Kufen, die immer wieder gegen eine Bande schlugen. Zu diesem Zeitpunkt war sein Unverständnis bereits weitgehend wehrlos und im Begriff, einem an Kolorit und Schärfe, an Plastizität und an Geruch hinzugewinnenden, einem sich allmählich vervollständigenden Bild Platz zu machen. Hätte er es nicht besser gewusst, er hätte schwören können, sich in unmittelbarer Nähe eines Eislaufplatzes zu befinden. In seinem Rücken liefen Menschen Schlittschuh, glitten Paare mit ineinander verschränkten Armen einer neben dem anderen dahin, änderten Wichtigtuer unvermutet die Fahrtrichtung, knallten Anfänger ungebremst in die Umzäunung.
Der linken Hand eines Pianisten auf einer Tastatur vergleichbar stabilisierten Lamberts regelmäßige Bewegungen, indem sie den Rhythmus aufrechterhielten, das Gerüst dieser Vorstellung. Fingernägel und Papier schliffen übers Blech, während Lamberts Rechte seiner Linken Semmelbrösel in den Weg streute, um mehrere Fahrstile und unterschiedliche Stufen der Könnerschaft daraus zu machen. Ein mittels Salat hervorgerufenes, stellenweise dumpfes Knistern klang nach dem zerpflückten Gemurmel Vorbeifahrender. Im Hintergrund versuchte es jemand – sicherlich eine junge Dame – mit einer kunstvollen Pirouette. Dann wieder Gesprächsfetzen, Alu, Silberpapier, das Gebell eines Hundes, der nicht aufs Eis durfte oder sich bloß nicht traute, zwischendurch Musik, die aus dem Radio kam, dessen Lautstärke Lambert in unregelmäßigen Abständen einen Moment lang anhob. Mittlerweile meinte der Vater, die trockene Kälte an einem Winternachmittag zu spüren. Er roch den Zimt im Glühwein, der an einem Kiosk ausgeschenkt wurde, vermischt mit dem Aroma von etwas Kandiertem und zwang sich regelrecht, nicht hinzuschauen – vielleicht ja, um den Zauber dieser so eindrucksvollen akustischen Illustration nicht zu zerstören. Körper berührten einander, ein Mensch fiel hin – das musste die Leber, das musste der Anfänger sein –, Kinder wurden von Erwachsenen angesichts ihrer Leichtsinnigkeit zur Vorsicht ermahnt. Lamberts linke Hand hielt den Betrieb am Laufen, sorgte dafür, dass weder die gute Laune noch der Bewegungsdrang versiegten. Verließ einer, eine das Eis, betrat es stattdessen jemand anderes. Alle taten dasselbe, niemand verhielt sich dabei gleich. Schließlich stürzte wieder jemand, diesmal brutal – aus dem Radio war ein anspornender Aufruf erfolgt –, die Leber schlug hart gegen das Blech, Knochen brachen – die Karotten? –, Kleidung riss, Kleingeld klimperte, jemand übergab sich – zu viel Glühwein? –, und der Vater hielt es nicht mehr aus. Er fuhr herum und sah seinen Sohn an, der, einen versonnenen, beinahe erleuchteten Ausdruck im Gesicht, seinen Blick in eine andere Welt gerichtet hatte, wahrscheinlich in eine, in der es sich bei dem Backblech tatsächlich um einen Eislaufplatz handelte, Lamberts Finger mehrere Menschen verkörperten und immer wieder neue hervorbrachten, eine Welt, in der sein trickreicher Umgang mit dem, was vermeintlich eine Speise hätte werden sollen, für allerhand Vergnügen und Dramatik sorgte. Mit dem Hinschauen des Vaters, mit seinem unaufgeforderten Sich-Umdrehen, war all das zu Ende, war jener Ausdruck, den er noch nie im Gesicht seines Sohnes gesehen hatte – und auch nur einmal sehen sollte –, aus diesem verschwunden. Lambert erschrak, hielt inne, und jeder einzelne Gegenstand, jede Substanz verwandelte sich, als wäre ein Zauber davon genommen, wieder in ein alltägliches Utensil, in jene vermeintliche Zutat, die zu sein sie ursprünglich den Anschein erweckt hatte. Die Eisfläche wurde zu einem Backblech, die Tücken des Terrains zu Semmelbröseln, die Knochenfraktur zu zwei Stücken einer Karotte. Das Flüstern der Frischhaltefolie war verstummt. Alles sah aus, wie es zuvor ausgesehen hatte, mit dem Unterschied, dass es jetzt Teil einer ziemlichen Sauerei war. Lambert hatte etwas erschaffen, von dem nichts übriggeblieben war, nicht einmal etwas, um es zu verspeisen. Nur Unordnung, Chaos. Eine Erkenntnis, die sein Vater in all seiner Fassungslosigkeit gerade recht kam. Etwas in ihm wollte den Sohn beglückwünschen, wollte aufspringen, applaudieren, hätte ihn am liebsten an den Handgelenken gepackt – Lamberts Finger trieften ja noch von dem … nun ja … vom abrupt geschmolzenen Eis – und feierlich versprochen, der einstweilen noch von ihm geleitete Betrieb werde – Holz hin oder her – einen speziellen Fond einrichten, um Lamberts außergewöhnliches Talent zu fördern. Etwas anderes im Vater suchte indes verzweifelt nach einem wie auch immer gearteten Vorwurf, sei es einer aus der holzverarbeitenden Industrie oder aus dem Regelwerk des vorbildlichen Sohnes. Dieselbe Darbietung, die es verstanden hatte, ihn mit ihrem Einfallsreichtum und ihrer Illusionskraft zu beeindrucken, hatte einen erbitterten Gegner seines Sohnes aus ihm gemacht. Einen Gegner, der nicht bereit war, sich von faulem Zauber verführen zu lassen, von einer Fadenscheinigkeit, die es darauf abgesehen hatte, zu täuschen. Aus dieser Perspektive erinnerte ihn Lamberts Fingerfertigkeit an die eines Taschendiebs, eines Trickbetrügers. Warum ein solches Trugbild hervorrufen, anstatt auf den Winter zu warten und einen Eislaufplatz aufzusuchen, wenn es denn unbedingt sein müsse?
Bis zu dieser Aussprache, die ohne ein Wort ausgekommen war, hatte der Vater im schlimmsten Fall mit der einen oder anderen riskanten Idee seines Sohnes in Bezug auf eine Neuorientierung des Betriebs gerechnet, mit dem dreisten Wunsch, direkt in der Chefetage einsteigen zu dürfen. Für diesen Fall hatte er ein paar unwiderstehliche Weisheiten aus der Holzbranche mitgebracht. Nun aber sah er sich mit der Demonstration eines Talents konfrontiert, das eine bis dahin ungeahnte Begeisterung in ihm hervorrief. Eine Begeisterung, die ihn gleichermaßen faszinierte wie beängstigte, die jedoch – etwas in der Art lag unüberhörbar in dem mittlerweile stummen Durcheinander – seiner Empörung mehr Gewicht verlieh als jedweder Form von Genugtuung. Schließlich konnte sich diese Empörung auf eine Geschichte von Vater und Sohn, auf die Erfolgsstory hinter einem Unternehmen berufen. Ein aus dem Nichts hervorgegangenes Staunen hingegen hatte dem nichts Vergleichbares entgegenzusetzen.
Von dem Augenblick an, da er dieses Staunen abgelegt hatte, dürfte der Vater davon überzeugt gewesen sein, dass ein Betrieb wie der, den er unter Aufbieten all seiner Kraft zum Laufen gebracht hatte, vor jemandem wie seinem Sohn geradezu beschützt werden müsse. Damit nicht genug, Lambert meinte sogar begriffen zu haben, warum sein Vater sich, was seine Nachfolge betraf, so lange etwas vorgemacht hatte: weil er ihm die Chance hatte einräumen wollen, sich ganz von allein als ungeeignet zu erweisen. Das war Lambert hiermit auf eindrucksvolle Weise gelungen.
Nachdem der Vater seine Wohnung ohne einen Gruß verlassen hatte – eine Wortlosigkeit, die sowohl zur Begeisterung wie zur Empörung zu passen schien –, beschloss Lambert, fortan nicht mehr damit zur rechnen, dass dieser seinem Talent auch nur die geringste Beachtung schenken würde. Für ihn war das gleichbedeutend mit einer unwiderruflichen Abkehr. Die gesamte Brillanz, die seine Begabung zu entfalten vermochte, diente in den Augen seines Vaters offenbar allein dazu, über etwas ganz und gar Ungehöriges hinweg zu blenden. Gleichzeitig überkam Lambert aber ein Gefühl, als hätte er seinem Vater das Rückgrat gebrochen, und das seiner Mutter gleich mit dazu, schien das Rückgrat seiner Mutter doch untrennbar mit dem seines Vaters verbunden (ein-, zweimal mit dem Fuß kräftig gegen zwei Styroporplatten mittlerer Stärke getreten).