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auf alle Fälle Texte

Das Flüstern der Frischhaltefolie war verstummt

Am 13. Dezember 2021 stellt Hanno Millesi seinen Roman „Der Charme der langen Wege“ online vor;
vorab gibt der Autor Einblicke in seinen Roman.

© Edition Atelier

Am 13. Dezember 2021 stellt Hanno Millesi seinen Roman Der Charme der langen Wege (Edition Atelier, 2021) auf Einladung von prolit und Literaturforum Leselampe online vor; die Lesung können Sie hier auf Literatur für den Fall sehen.

Vorab stellt Hanno Millesi sein Buch vor und Sie können einen Ausschnitt lesen, mit Illustrationen des Autors.


In meinem Roman Der Charme der langen Wege begleite ich einen ehemaligen Geräuschemacher auf seiner Suche nach seinem früheren Mitarbeiter.

Während des Goldenen Zeitalters des Geräuschemachens bildeten Lambert und Sandip unter ihren Künstlernamen „Sindy & Bert“ ein in der Branche weithin bekanntes Duo.

Eine sich abzeichnende Schwerhörigkeit ist für den alternden Lambert Anlass, sich nach so vielen Jahren aufzumachen, um etwas über den Verbleib eines ehemaligen Partners herauszufinden. Der Gedanke an eine Beeinträchtigung ausgerechnet jener Fähigkeit, mit deren Hilfe er, seit er sich zurückerinnern kann, die Welt um ihn herum wahrnimmt, ist für Lambert unerträglich. Und – hat es sich bei seinem „Mann für den guten Ton“ nicht stets um denjenigen gehandelt, an den er sich mit jedem noch so unlösbar erscheinenden akustischen Problem wenden konnte?

Wenig überraschend findet Lambert das Setting seiner einstigen beruflichen Höhepunkte bei seiner Rückkehr nicht nur arg verändert vor, eine Reihe von Parallelen zwischen dem Nachlassen seines Sinnesorgans und dem Niedergang des Geräuschemachens als Handwerk erweisen sich als augenscheinlich bzw. unüberhörbar.

Die Suche nach seinem ehemaligen Mitarbeiter, mit dem Lambert mehr verbunden hat als bloß ein berufliches Interesse, wird so zu einer Reise in die Vergangenheit und folgt der Geschichte einer Tätigkeit, die vom Mitgestalten einer vielversprechenden Zukunft (im Rahmen der aufblühenden Science-Fiction) bis zur Konfrontation mit dem irgendwann die Gegenwart ebenso wie sämtliche Vorstellungen von Zukunft beherrschenden Computer reicht. Der Blick in den Rückspiegel fällt dabei stets auf diejenigen hinter den Kulissen, jenseits des Scheinwerferlichts, dorthin, wo die Hintergrundgeräusche fabriziert werden, die dem, was man zu sehen bekommt, erst die notwendige Glaubwürdigkeit verleihen.

Im folgenden Ausschnitt aus Der Charme der langen Wege begegnen wir Lambert in jüngeren Jahren und werden Zeugen, wie er seinem nichts ahnenden Vater (der seine eigenen Pläne für den Sohn hat) erstmals sein unorthodoxes Talent vorführt.


Die Talentprobe

Sein Vater ist damals nicht unbedingt aus eigenem Antrieb zu ihm gekommen. Er wiederum hatte allerhand Vorbereitungen getroffen – das Backblech, das Radio, Alufolie, Silberpapier. Er hatte eingekauft: zwei Stück Leber, Semmelbrösel, Salat, Karotten, und sobald seinem Vater aufgefallen war, was da alles bereitlag, hatte es kurz so ausgesehen, als halte etwas Heiteres Einzug in sein ansonsten durchwegs ernstes Gesicht. Eine vorübergehende Beleuchtung – einem Sonnenstrahl vergleichbar, der eine Skipiste überquert –, und doch ausreichend, um Lambert einen Blick auf die väterlichen Gedanken zu gestatten. Diese standen ganz im Bann eines Rätselratens, hatte der Vater doch nicht die leiseste Ahnung, weshalb er von seinem Sohn zu sich gebeten worden war.

Der Vater wusste lediglich, warum er die Einladung angenommen hatte: um darüber zu sprechen, wann und unter welchen Bedingungen sein Sohn in das von ihm gegründete und aktuell florierende Unternehmen, genannt Die Holzarbeiter, einsteigen würde. Ein Betrieb, der sich – der Name verriet es – auf recht simple Art und Weise einem bestimmten Material widmete.

Sollte sein Sohn es tatsächlich für notwendig erachten, eine Mahlzeit zuzubereiten? Etwa zwecks Geselligkeit, wie andere Geschenke austauschen, rauchen oder eine Flasche öffnen? Warum tat er das dann nicht wenigstens in der Küche, von deren Ausstattung ausgehend sich ein allfälliges Gespräch mühelos auf das dafür verarbeitete Holz hätte bringen lassen? Tatsächlich hatte bisher nicht allzu viel auf ein Interesse seines Sohnes an diesem Material gedeutet. Eine etwaige Neigung fürs Kochen war dem Vater aber ebenso wenig aufgefallen. Und dann noch dazu Leber? Innereien? Warum konnte es nicht etwas Vegetarisches sein? Und – allen Ernstes – warum im Wohnzimmer?

Der helle Schimmer war mittlerweile aus dem väterlichen Gesicht verschwunden. Er hatte es zügig überquert und es im Anschluss daran wieder der gewohnten Dämmerung überlassen, spätestens als Lamberts Vater begriffen hatte, dass sein Sohn, was immer er im Schilde führen mochte, über einen nicht unerheblichen Vorteil verfügte. Schließlich befanden sie sich in seiner Bude, innerhalb der Zuständigkeit seiner Gastfreundschaft und nicht etwa dort, wo seine Eltern ihn mit allerhand Mühe großgezogen hatten.


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