Durch das Großelternhaus flog eine Fledermaus.
Du erschrakst wie ich, wir hatten nicht mit ihr
gerechnet. Sie flog plötzlich aus ihrem Versteck
vor der Welt. Versteckte sie sich?
Blick auf den Garten, die alten Rebstöcke zerfallen,
die Augustbäume krank. Wenn Nonna noch strickte
an einem Schal? Herbst bringt den frühen Tod
für Hornisse und Wespe. Wer tritt jetzt über
die Schwelle, versammelt sich um den Tisch?
Die ersten Menschen vor dem Ende der Erde?
Das Wort Zeit existiert, doch die Zeit nicht.
Wir kauen Wörter aus Sauerkirschblut, pflücken
gekerbte Äpfel aus dem Reich der Blattlaus.
Nachts hören wir die Gras-Sopranistinnen singen.
Die Schreie der Fledermäuse, als riefen sie uns.
(Spinetoli, 20. August 2019)
Tom Schulz
Ci togliamo i vestiti come piccoli bulbi
da premere nella terra. Se ci proteggiamo
possiamo afferrare le radici che si trasformano.
Siamo i giardinieri, gli allevatori. Nella pancia
gli altri germogliano, il nostro amore li bagna,
li fa sperare senza pudore. Non esiste felicità
ma qualcosa che potete capire tra noi
quando dividiamo un letto, quando noi è come
tutti, a volte tutti in un sogno – affondare, risorgere.
Il nostro proteggerci vi fa spazio e il vostro giardino
è vedere un mondo nuovo tagliando gli sguardi cattivi
come rami morti, raschiando via le parole-foglie.
Non esiste felicità, ma qualcosa senza pudore
da piantare, allevare, dividere – cosa diventano
tra noi in un letto i bulbi, le cellule.
Umbria, 18.4.2019
Wir entkleiden uns als wären wir kleine Zwiebeln,
die man in die Erde steckt. Wenn wir uns beschützen,
können wir die sich verwandelnden Wurzeln anfassen.
Wir sind die Gärtner und Säenden. Im Bauch
sprießen die anderen, unsere Liebe gießt sie,
lässt sie hoffen ohne Scham. Es gibt kein Glück,
aber etwas, das ihr begreifen könnt zwischen uns,
wenn wir uns ein Bett teilen, wenn wir ist wie
alle, manchmal alle in einem Traum – eingraben, aufkeimen.
Unser Beschützen öffnet euch einen Raum und euer Garten
ist das Sehen einer neuen Welt, in der ihr die bösen Blicke
abzwickt wie tote Zweige und das Wortlaub wegrecht.
Es gibt kein Glück, doch etwas ohne Scham
zum Einpflanzen, Pflegen, Teilen – was wird
zwischen uns im Bett aus den Zwiebeln, den Zellen.
Umbrien, 18.4. 2019
Maria Borio
aus dem Italienischen von Julia Dengg
Die Winterbienen, von denen wir hörten, saßen
auf den weißen Blüten. Ihre Rüssel saugten und
sagten, ihr seid spät dran. In diesem Dezember
blieben die Palmen sanft und die Kartoffelpflanzen
reckten ihre Hälse. Der Kopf eines jeden, der lebte
brach durch die Erdkruste. Wessen Erde? Das sagte
keiner. Die Braut war strahlend, ihr Kleid ein veganer
Pelz aus Lupinen und Licht. Eine Biene landete auf
deiner Handfläche. Gib zu, du bist schwach, wehr-
los. Aus dem Radio klang: Let it snow, let it snow, let it.
Welche Biene wärest du? Honigbiene oder Todes-
Künderin. Mit diesen Immen ist kein Staat mehr
zu machen. Die Luft, warm, und die Küste leuchtet blau.
Kündet, was später Flut und Sturm bringen werden.
Die Pinie am Haus weiß um ein Jahrhundert mehr.
(Acquaviva, 26. Dezember 2019)
Tom Schulz
In punta di piedi colgo le ciliegie. L’albero che si apre
sopra di me è una giovane galassia.
La merla salta su asteroidi di muschio,
mangia la polpa, ingoia il nocciolo, una rotazione
si scioglie nel suo petto, il becco giallo del compagno
arriva come una cometa. L’albero che nostro padre
ha piantato vivrà fino a quando le radici perforano
il muro – ma ogni pochi secondi esplodono
le radici delle galassie. Sporchi di succo profumato
non cerchiamo di allevare, di proteggere – gli uccelli
dividono i pezzi di un frutto, l’aria diventa nera
e li assorbe. Tutto è questa estate, un albero un codice.
Stringo il nocciolo fra i denti, faccio per deglutire –
le ciliegie sui rami più alti essiccano e i semi cadendo
trovano trifoglio, o vento stellare.
Acquaviva, 20.6.2019
Auf Zehenspitzen pflücke ich die Kirschen. Der Baum,
der sich über mir öffnet, ist eine junge Galaxie.
Die Amsel springt auf Moos-Asteroiden,
frisst das Innere, schluckt den Kern, eine Umdrehung
löst sich in ihrer Brust, der gelbe Schnabel des Gefährten
kommt wie ein Komet. Der Baum, den unser Vater
pflanzte, wird leben bis seine Wurzeln die Mauer
durchdringen – doch alle paar Sekunden explodieren
die Wurzeln der Galaxien. Schmutzig vom duftenden Saft
versuchen wir nicht zu zähmen, zu beschützen – die Vögel
teilen sich die Fruchtstücke, die Luft wird schwarz
und verschluckt sie. Alles ist dieser Sommer, ein Baum ein Code.
Ich beiße mit den Zähnen auf den Kern, will ihn schlucken –
die Kirschen auf den höchsten Zweigen vertrocknen
und die fallenden Samen finden Kleeblätter oder Sternwind.
Acquaviva, 20.6.2019
Maria Borio
aus dem Italienischen von Julia Dengg