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Aus der Tür gehen

Über Christine Haidegger (1942–2021)

Sie war eine Frau, die wusste, was es heißt, ohnmächtig bescheidene soziale Verhältnisse, Armut und Hunger erfahren zu müssen, die nie vergaß, was Krieg bedeutet, die wusste, wie sich jugendliche und adoleszente Einsamkeiten, soziale Schranken und schwarze Pädagogik (Internatserfahrungen) anfühlen, die sich von Besserwisser*innen nichts über lohnabhängige Hand-und-Kopfarbeit sagen zu lassen brauchte. Denn auch fremdsprachig versierte Ansage- und Auskunftsperson, Tippmamsell und Korrekturleserin waren einige ihrer Brotberufe – neben ihrem Schreiben. Lesen, Schreiben, Reisen waren ihr geliebten Überlebensstrategien – das Tagebuchschreiben, das literarische Konzipieren, die Sauerteige des Poetischen reifen, also fremd werden zu lassen, auf dass sie durchsichtig auf Nicht-Auto-Bio-Graphisches, also auf etwas Generations-, Geschlechts- und Klassenübergreifendes, ja Existentielles werden können. Für sie war es wichtig, schmerzliche und schöne Erinnerungen nicht als bloße Erinnerungen abzutun, sondern das kritische Gedächtnis an schwere Leben gestern und heute wachzuhalten. Es gibt keinen Gedichtband –seit 1976 sind es fünf Sammlungen mit etwa 250 Gedichten geworden (Entzauberte Gesichte 1976, Atem, Stille 1993, Weiße Nächte 2002, Herz.Landschaft.Licht 2009, Von der Zärtlichkeit der Wörter 2020) –, in denen nicht auch die unablässige Faszination der Schönheiten von Erde und Natur, oft in enger Verschränkung mit lebensgeschichtlichen Momenten poetisch glaubwürdig und bedeutungsreich mitgeteilt wird:

Lautlos / schmiegt sich das Gras an dich / auf diesem Hügel /Bäche / mäandern im Tal /und über den Friedhöfen / erheben sich / trotzrot / die Zwiebeltürme […] // Dann spiegelst du dich / in dem Teich – wie als Kind – / Ein Sommer voller Libellen

Lautlos. In: Von der Zärtlichkeit der Wörter, 2020, S. 20

Die äußeren Stationen ihres Lebens kann man allenthalben und hier und dort nachlesen. Das braucht man nicht zu wiederholen.

Jedenfalls hat Christine Haidegger auf mindestens drei Gebieten Exzellentes geleistet – in ihrer Lyrik, in ihren Romanen, (Reise)-Erzählungen, Kurzgeschichten und Prosaskizzen sowie als eine der herausragenden Persönlichkeiten der literarischen Szene Salzburgs seit Mitte der 1970er Jahre, etwa als Mitbegründerin der Autor*innen- und Diskussionsgruppe projekt-IL und als Herausgeberin der gleichnamigen Zeitschrift zwischen 1975–1980, einer nicht-hierarchischen, zu Beginn familiären (Tochter Christina-Maria gestaltete Covers) Plattform für so viele damals ganz junge Autor*innen. Einige von ihnen besitzen heute einen renommierten Namen (z.B. Walter Kappacher, Ludwig Laher, Walter Müller, Erwin Einzinger); nicht weniger als etwa 260 Autor*innen publizierten in dieser Zeitschrift – weit über den engeren Kreis des Salzburger Zirkels (z. B. Gerhard Amanshauser, Max Bläulich, Christian Wallner) hinaus, etwa Ilse Aichinger, Italo Calvino, Helmut Eisendle, Elfriede Gerstl, Peter Henisch, Peter Handke, Zbigniew Herbert, Ursula Krechel, Felix Pollak, Friederike Mayröcker, Peter Rosei. Christine Haidegger war das Herz/Zentrum dieser durch sie angebahnten Entwicklung einer vielfältigen Salzburger Literaturszene – 25 Jahre nach dem Krieg, als sich neue, politisch nicht-belastete und ästhetisch sich neu erprobende literarische Stimmen zunehmend Gehör verschafften. Haideggers Pionierarbeit ist nicht hoch genug zu veranschlagen – sie selbst machte davon allerdings nie viel Aufhebens. So gewann Christine Haidegger als Herausgeberin, aber zugleich als Lektorin hohes Ansehen nicht nur in der literarischen Community, so dass ihre Stimme beim Versuch, in Salzburg ein Literaturhaus zu initiieren, tatsächlich gehört wurde und zum Erfolg führte. Dass ihr auch berufspolitische, nicht nur ästhetische Probleme ein Anliegen waren, stellte sie als engagierte Sprecherin, z. B. als Obfrau der Salzburger Autorengruppe SAG und Salzburger Vertreterin der GAV unter Beweis. Solche Leistungen anerkannten sukzessive auch die Zeitgenoss*innen in Kultur und Politik und zeichneten sie seit Ende der 1970er Jahre vielfach für ihre unterschiedlichen Leistungen aus (z.B. Goldenes Verdienstzeichen des Landes Salzburg 2005, Salzburger Lyrikpreis 2005, Stadtsiegel der Stadt Salzburg 2012). Sie selbst nahm solche Auszeichnungen „sehr stolz“ entgegen.


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