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auf jeden Fall Lektüren

Aus der Tür gehen

Über Christine Haidegger (1942–2021)

Über Christine Haidegger (1942–2021)

In den Möbeln und Büchern
könnt ihr mein Leben suchen […]
Gönnt euch ein Lächeln
nach meinem Tod
Ich lächle mit euch

Aus der Tür gehen. In: Von der Zärtlichkeit der Wörter, 2020, S. 61

Ja, dieses Lächeln gönnen wir uns nach ihrem Weggehen – im Schmerz und in der Trauerstille, weil sie, doch einfach so, befreit und heiter, aus der Tür gegangen ist, „ohne sich umzuwenden“. Die Tür blieb ja offen – dies der uns von ihr zugedachte Trost. „Spuren“ hat sie ja genug hinterlassen, freilich so „wie die Narben der ersten / Regentropfen / auf einem staubigen Feldweg / – ausgelöscht schon / von den folgenden / doch bewahrt / von den Wurzeln / der ganz alltäglichen Gräser“ (Atem. Stille 1993, S. 59). Wir meinen sogar ihre lächelnde, ja schelmische, vielleicht sogar feixende Antwort zu hören.

© Andreas Hauch

Ihr könnt ja, so meint sie, zumindest in meinen Büchern nach meinem Leben suchen, was wir verlässlich weiterhin vorhaben – haben wir uns doch schon bisher ausgiebig in ihren Büchern, in ihren Gedichten, Romanen, Erzählungen und in ihrer Reiseprosa, umgesehen und jenseits dessen erkundet, was sie selbst uns in ihren offen autobiographischen Mitteilungen (z. B. Von Menschen und Büchern. In: SALZ, H. 161, Sept. 2015, 64–68) – ich stelle sie mir lächelnd vor – an Schnipseln kundtat und was andere aus welchen Perspektiven auch immer an ihr entdeckten: engagiert, frech, humorvoll, vehement ironisch, spitz, gesellig, fleißig, quirrlig, genussfähig, wortreich, widerständisch unkorrumpierbar, unprätentios, vieldeutig, eine linke und protestantisch geprägte Agnostikerin, detailgetreu und sachlich sei sie gewesen, so heißt es, was ohne Intelligenz nicht geht – hilfreich, empathisch und selbstlos, eben praktizierte Humanität – ja, auch naturgemäß geschichtsbewusst. Seit ihrem Mädchen- und Jungefrausein war sie eine Sprachenaffine, auch eine Liebhaberin der Malerei (z. B. indigene und moderne Kunst; sie zeichnete und malte auch selber) und eine Vielleserin – von Shakespeare, den alten Kirchenliedern, den Kindermärchen bis zur literarischen Moderne, die ihr auch in ihrer eigenen Lyrik nahe war. „Wir waren eine lesewütige Familie“, erzählte sie über ihren Mann, ihre Tochter und sich selbst – das Fieber kam nicht von ungefähr, es hatte Wurzeln in Kindheit und Jugend, wie man auch in ihrem ersten sensationellen Roman Zum Fenster hinaus (1979) nachlesen kann, will man breite Teile des Textes auch auf die autobiographische Folie hin lesen. Sie war eine Mehrsprachige, auch als Übersetzerin, eine Reisebegeisterte, die die geographischen und kulturellen Fremden, auch viel Bizarres, in Paris, Genua und sonstwo in Europa und in Übersee in sich aufsog und die cultural clashes in ihren Berichten und Reflexionen festhielt, und – dafür waren/sind ihr sehr viele dankbar – eine unablässig tätige Organisatorin und verlässliche Stimme, eben hauptsächlich für andere.

Wer aber versucht, in ihrem kurzen Lebensbericht Von Menschen und Büchern nach den lebensbestimmenden Prägungen des Durchlebten zu fragen bzw. hinter den Spiegel der von ihr scheu mitgeteilten äußerlichen Fakten zu blicken, entdeckt auch eine Frau mit aufrechter Haltung, die weiß, was fast lebenslange Krankheit und physischer Schmerz, was katastrophale Lebensverluste bedeuten: etwa angesichts des nie kriegsheimgekehrten Vaters und besonders angesichts des frühen Todes der eigenen, so überaus kreativen Tochter Christina-Maria (Meta MERZ 1965–1989) – ein tief sitzender Schmerz bis zum Ende. Ihnen hat sie in einigen ihrer Gedichte, Erzählungen und Romane – scheu-lakonische Anspielungen und besonders bewegende Nachrufe gewidmet. Ihren Gedichtband Herz.Landschaft.Licht (2009) widmete sie ihrer Tochter: „Nocheinmal /die Nabelschnur /zerschnitten // Weiß  / rinnt mein Blut /am Herzen vorbei /zurück // Dein halbgeöffnetes Lid / damals / Dein halbgeschlossenes Lid / jetzt // Dazwischen / hast du gelächelt /Leuchtend geöffnetes Blau“.


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