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auf alle Fälle Texte

Art poétique

oder: Wie ich aus der einzigen coolen Bar von Salzburg geschmissen wurde

Wann immer sich die Frage stellt, von welchem meiner beiden Salzburger Erlebnisse zu berichten sei, von der Autopanne oder davon, wie ich aus der einzigen coolen Bar der Stadt geflogen bin, fällt die Entscheidung auf den Rausschmiss.

Das ist schade, schließlich ist die Panne zwar vielleicht nicht die bessere, aber bestimmt die poetischere Geschichte. Und wenn ich sage „poetisch“, so meine ich damit keineswegs jene geschmäcklerische, auf gefährlichem Halbwissen und Gefühlsduselei basierende Pseudokategorie, die mittlerweile jeden zweiten Werbeslogan „poetisiert“, sondern ich beziehe mich auf die klassische, genauer gesagt: die symbolistische Deutung des Begriffs. Jene also, die uns etwa aus Paul Verlaines Gedicht Art poétique entgegentritt.

Darin verortet Verlaine das „Poetische“ zum einen fernab von „Prunk“ und „Pose“, zum anderen in den „vagen Tönen“ verträumter, halb im Licht, halb im Schatten „schwankender Verse“ – von dieser so exakt umrissenen Sphäre des Ungefähren aber ist es bis zur lebensmüden, nur noch hin und wieder aufflackernden Lichtmaschine meines ersten Autos, eines Fiat Unos, mit dem ich mich gerade noch ins alles andere als prunkvolle Ambiente einer Autowerkstätte in der Salzburger Vorstadt retten konnte, nicht mehr weit. Näher jedenfalls als zum exklusiven Glanz der „einzigen coolen Bar der ganzen Stadt“, aus der ich in der anderen Geschichte fliege.

Dass dieser Rausschmiss darüber hinaus unter wahrlich lachhaften Umständen, infolge einer letztlich ganz und gar unvorhersehbaren Wendung der Ereignisse vonstattenging, Verlaine jedoch kein anderes Stilmittel drastischer aus der Poesie verbannt als die, in seinen Worten, „mörderische Pointe“, ganz zu schweigen.

Wie auch immer. Fakt ist: Wie alle anderen herausgebenden Instanzen vor ihr entschied sich auch Magdalena Stieb, als wir jüngst besprachen, welche der beiden genannten Anekdoten ich für den Blog der Leselampe schriftlich festhalten solle, ohne zu zögern für die mit dem Rausschmiss. Und so fliegen wir nun.

Damals war ich 24. Als ich aus der Bar flog, meine ich. Und tatsächlich wäre vier Jahre später, dann also, als ich mit meinem Fiat Uno in Salzburg strandete, ein solches Geschehen – am Ohr gepackt, aus dem Klo gezerrt, die Treppe hochgeschleift und im Gastzimmer, unter all den Leuten dort, vor das gigantische Fass mit Freibier, das den Abend ja erst ins Rollen gebracht hatte, wie vor einen Pranger gestellt: „Dieser hier: Lokalverbot!“ – ohnehin unmöglich gewesen. Oder zumindest: unvorstellbar.

Aber gut, damals, zur Zeit der Autopanne, befand ich mich ohnehin in ganz anderen Verhältnissen, verwickelten nämlich (und damit: poetischeren!). In den Tagen des Rausschmisses aber präsentierten sich die Gegebenheiten meines Lebens scharf umrissen, leicht erzählbar, klar – und bildeten somit das Gegenteil des „hohen, zitternden Mittag[s]“, unter dessen flirrender Kuppel Verlaine die Poesie verortet.

Denn dies ist der größte Unterschied zwischen den beiden Anekdoten: Damals, als ich in Salzburg aus der Bar flog, flog ich nicht allein. Und Sie kennen das ja: Sobald wir uns unter anderen bewegen, verfestigen sich die fluiden Grenzen des Ichs, wir geben uns auf, erstarren, und aus selbst nie ganz fassbaren Entitäten (?!), die – aufgrund ihrer eigenen träumerischen Unbestimmtheit! – die harten Kanten der Welt nicht nur zu ertragen, sondern auch ihnen nachzuspüren, sie nachzuempfinden, ja, sich an sie anzuschmiegen verstehen, werden Figuren, Gestalten mit unverrückbaren Grenzen, sprich: Namen.

So hieß etwa die Freundin, die ich damals in Salzburg besuchte, Chappi. Und der Name des Freundes, der – just an jenem Tag! – auch bei ihr vorbeischaute, lautete Bonzo. Mich selbst aber nannte man – damals zumindest – Dani.

Was Chappi und Bonzo, Bonzo und Dani sowie Chappi und Dani anbelangt – wenn Sie erlauben, dass ich von mir selbst kurz spreche wie von einem Fremden, anderen (aber es ist ja auch schon wirklich lange her!) –, was also diese drei Figuren anbelangt, so sind die Beziehungen, die sie untereinander unterhielten, ebenso leicht wie schnell erklärt – und dementsprechend unpoetisch. Um es mit Verlaine zu sagen: Die „Augen“, mit denen sie sich gegenseitig betrachteten, steckten hinter keinem „Schleier“. Im Gegenteil. Alles lag offen zu Tage.

Chappi war Bonzos Ex, Bonzo aber nicht ihrer (zumindest betrachtete sie ihn nicht als solchen). Dafür galt Dani (der mit Bonzo schon länger befreundet war als mit Chappi) als Chappis Ex, wenn auch nur in Bonzos Augen. In Danis Augen hingegen sah das Ganze anders aus. Er wusste ja, dass („leider“ oder „zum Glück“ – beides dachte er manchmal) nie etwas passiert war (zwischen Chappi und ihm, meine ich); von Chappis Augen, aus denen es, sobald sie zornig wurde (und das wurde sie oft!), blau blitzte, einmal ganz abgesehen.

So also war die Lage: jugendlich unbeschwert, sprich: überschaubar – und spätestens jetzt werden Sie gewiss verstanden haben, warum auch Bonzo ausgerechnet an jenem einen Abend im Sommer 2002, als ich auf meiner Rückreise aus Frankreich bzw. Andalusien, nein: Ostdeutschland (doch die ist Gegenstand einer anderen, poetischeren Geschichte), Chappi besuchte, auch in Salzburg aufkreuzte. Und mehr Einfühlungsvermögen Ihrerseits ist auch nicht vonnöten. Schließlich spielen die Verhältnisse zwischen den drei Hauptfiguren in dieser Geschichte, die doch nicht mehr als die wenig poetische Bagatelle eines Rausschmisses aus einer Salzburger Bar, wie cool diese nun auch immer gewesen sein mag, behandelt, nicht die geringste Rolle.

To be continued.


© Literaturverlag Droschl

Andreas Unterweger liest am 19. Jänner 2023 auf Einladung des Literaturforums Leselampe im Literaturhaus Salzburg aus seinem aktuellen Roman So long, Annemarie, der 2022 im Literaturverlag Droschl erschienen ist.

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